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Tipps für Genuss-Events in der Pfalz: Das VielPfalz-Team recherchiert für Sie empfehlenswerte Veranstaltungen in der Pfalz, die vielfältigen Genuss versprechen – von der Weinprobe über die Städteführung bis zum Fest, Markt oder Konzert. Welches Event Sie auch immer anspricht, wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!

Pfälzer Perspektiven

Dionysische Pfalz

Betrachtungen von Janina Huber rund das Thema Genusskultur und warum es dem griechischen Gott des Weines in der Pfalz gefallen würde.

Foto: Lee Myungseong/Unsplash

Vor Kurzem habe ich in einem Podcast einem Gespräch zwischen zwei Sommeliers gelauscht. Dabei gab es für mich als Weinfachfrau viel Wissenswertes. Doch hängen geblieben bin ich an einem Satz: Ein Gesprächspartner – einer der wenigen Master Sommeliers in Deutschland – beklagte den „Verlust des Dionysischen“ in der heutigen Weinkultur. Was er damit meint, ist, dass seine Kolleginnen und Kollegen und auch viele Fans der Wein- und Gastronomiekultur sich zu sehr in ernsten Bewertungen verlieren. Dass es am Tisch mehr um Parker-Punkte* und detaillierte Weinbeschreibungen geht als um ungezwungenen Genuss. Wein, so sagt es der Master Sommelier, dürfe auch einfach mal Wein sein und müsse nicht immer ausdiskutiert werden.

Das Glas Wein wie ein Untersuchungsgegenstand

Ein bisschen fühlte ich mich ertappt. Allzu oft ist auch für mich das Glas Wein wie ein akademischer Untersuchungsgegenstand. Und je mehr man sich professionell mit einer Sache auseinandersetzt – sei es Wein, Essen oder auch Literatur – desto anspruchsvoller wird man. Gerade in Sachen Genuss kann das auch anspruchsvoll für den eigenen Geldbeutel werden. Habe ich auch mein Dionysisches verloren?

Vergleich mit “Pälzer Krischern” drängt sich auf

Doch dann fiel mir ein: Moment, du bist doch Pfälzerin. Glück gehabt! Wer hier bei uns unterwegs ist, dem begegnet das Dionysische beinahe an jeder Straßenecke. Und ich bin überzeugt, es steckt ganz tief in uns Pfälzerinnen und Pfälzern – quasi angeboren. Was genau damit gemeint ist? Der griechische Gott des Weines steht für eine ausgelassene Genusskultur. Ein bisschen auch für Wahnsinn und Ekstase – ich schreibe diesen Text mit frischen Eindrücken des Dürkheimer Wurstmarktes im Kopf und sehe hier deutliche Parallelen. Außerdem gaben die Griechen ihrem Weingott auch den Beinamen „Bromios“, was sich mit „Lärmer“ übersetzen lässt. Gemeint war damit der Lärm des dionysischen Gefolges, das, betrunken wie es war, für Aufsehen sorgte. Der Vergleich mit den typischen „Pälzer Krischern“ (und das ist liebevoll gemeint) drängt sich geradezu auf. Wenn Dionysos heute eine neue Heimat suchen müsste – in der Pfalz würde es ihm bestimmt gefallen.

Die Pfalz kann beides

Dennoch ist unsere Genusskultur deshalb nicht immer laut und ekstatisch. Das Tolle an der Pfalz ist, dass wir beides können: Bei uns gibt es Sternegastronomie und feine Weine aus dem Stielglas, über die es sich zu diskutieren lohnt. Genauso stolz sind wir auf ein gutes Saumagenbrötchen und eine Rieslingschorle, die wir ganz einfach nur genießen. Und der Kollege Master Sommelier kann ja gerne mal bei uns vorbeischauen, wenn er sich wieder nach dionysischen Freuden sehnt.

Die Autorin

Janina Huber, 1989 in Bad Dürkheim geboren, hat Geschichte, Latein und Philosophie studiert. Ihre Leidenschaft für Wein machte die pfälzische Weinkönigin 2013/2014 und Deutsche Weinkönigin 2014/2015 längst zum Beruf. 2018 startete sie als selbstständige Weinfachfrau mit den Schwerpunkten Moderation und Kommunikation. Weinkurse und Workshops für Profis und Liebhaber bei der Weinschule „Grape skills“ in Heidelberg sind jetzt ihre Hauptbeschäftigung.

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Die Pfalz singt

Die Kraft der Stimme(n)

Im Chor singen macht glücklich und schafft Gemeinschaft – das ist wissenschaftlich erforscht. Dennoch gibt es immer weniger Chorleiter, Sängerinnen und Sänger. Auch in der Pfalz. Man findet aber auch diejenigen, die sich besonders engagieren und neue Wege gehen, um das gemeinsame Singen lebendig zu erhalten.

Foto: Norman Krauß

„Mimemamomu, mimemamomu“, erklingt es aus rund 70 Mündern. Einsingen. Einfache Silben und Vokale und dennoch entfalten sie eine Macht. Eine Stimmung, die trägt. Die jeden einhüllt in die Macht der Musik. Ein Gefühl von tiefer Verbundenheit liegt in der Luft. Schulter an Schulter singen sie gemeinsam stehend im Kreis. Zwischen 18 Jahren und Mitte 70. Frauen und Männer. Mit und ohne Gesangserfahrung. Erzieherin, Tankstellenbetreiber – es ist ganz gleich, wer welcher Arbeit nachgeht. Wer woher kommt. Vergessen ist der Alltag, alles, was sonst ist. Nur die Musik, das gemeinsame Singen, zählt in diesem Moment. Jeden Dienstagabend für 90 Minuten finden sich „Die Palatöne“ – so hat sich der Chor seit seiner Gründung im August 2021 benannt – im Dorfgemeinschaftshaus im südwestpfälzischen Rumbach zusammen. Gesungen wird in bis zu sieben verschiedenen Stimmen. Mal leise, mal laut. Aber immer als Gemeinschaft.

Das Gefühl, im Moment zu sein

„Das ist das Magische und Besondere am Chorsingen. Dass sich das individuelle Potenzial vervielfacht. Selbst wenn einer keine Erfahrung hat, tragen wir in Summe zum Klang bei. Daraus wächst eine Gemeinschaft“, erklärt Sandra Schenk. Sie ist die Chorleiterin. Mit Chören sei dieses Gefühl, im Moment zu sein, die Lebendigkeit zu spüren, besonders intensiv. Nach dem gemeinsamen Einsingen im Kreis geht es direkt von Stück zu Stück. „Der Sound ist super, sehr intensiv, das Gefühl kommt rüber, aber ihr dürft nicht den Schwung verlieren. Nehmt das Tempo auf, dass ich euch vorgebe“, gibt Schenk den Ton ruhig und bestimmt vor. Während sie stehend am Keyboard begleitet und gleichzeitig dirigiert, spricht ihr ganzer Körper. Von der Zehenspitze bis zum Scheitel steht alles unter Spannung, sie ist ganz bei der Sache. Gleichzeitig strahlt sie eine spürbare Wärme und Herzlichkeit aus, die sich auf alle überträgt. Zwischendurch wird gelacht, aber stets konzentriert weitergearbeitet. „Wir nutzen jede Minute der Probe aus“, verrät die 50-Jährige strahlend.

Wie eine Familie

„Diese Frau ist so besonders. Sie gibt uns so viel. Das ist mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben“, schwärmt Marita Tangermann über ihre Chorleiterin. Sie selbst hat von klein auf in verschiedenen Chören gesungen, aber was sie mit den „Palatönen“ erlebt, sei unbeschreiblich, schwärmt die 71-Jährige. Sie ist sich sicher, dass sie das alles Sandra Schenk zu verdanken haben. „Es fühlt sich an wie Familie, jeder ist hier aufgehoben, wird gesehen.“ Das bestätigt auch Christoph Lambert. Der 64-Jährige war vom ersten Augenblick „schockverliebt“, als er den Chor kennenlernte. „Die Chemie unter den Mitgliedern ist einzigartig. Ich fiebere jeder Probe entgegen. Nach den eineinhalb Stunden bin ich zwar richtig platt, gleichzeitig aber voller neuer Energie“, gibt der Tankstellenbetreiber preis. „Hier ist die Welt noch in Ordnung“, erklärt die 28-jährige Maria Eschenfelder. Bei einem Adventskonzert der „Palatöne“ im vergangenen Dezember packte sie die Lust, Teil dieser Gemeinschaft zu werden.

Musik hat etwas Heilsames

Aussagen wie diese bringen Sandra Schenks Herz zum Hüpfen. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb sie all die Mühe in Chöre investiert. Friedensarbeit nennt sie das. Ohne Respekt und achtsamen Umgang miteinander würde das gemeinsame Singen nicht funktionieren. „Das Medium Musik hat etwas Heilsames. Beim Singen gehen wir in Verbindung mit uns. Wir offenbaren einen Teil unseres Inneren, machen uns auf eine Art verletzlich – und damit etwas möglich, was oft im Alltag verdeckt bleibt.“ Gleichzeitig sei genau das manchmal auch eine besondere Herausforderung. Denn nicht jeden Tag fühle man sich gut und nach Singen, erklärt die erfahrene Opern- und Konzertsängerin und versierte Pianistin, die seit mehr als 25 Jahren mit viel Engagement Gesang unterrichtet. Neben den „Palatönen“ leitet sie unter anderem den Kinderchor der Grundschule Bruchweiler sowie verschiedene Projektchöre.

Der Anspruch ist hoch

Sie erinnert sich noch genau an den Tag, als ihr Vater starb. „Da hatte ich selbst abends eine Vorstellung. Dachte, ich bringe keinen Ton heraus.“ Doch die jahrelang angeeignete Technik habe ihr geholfen. Denn beim Singen kommt es nicht nur auf die Stimme, sondern auch auf die richtige Atemtechnik an. Beides kann man trainieren. Das gibt sie auch an ihren Pfälzer Chor weiter. Dahinter steckt viel Arbeit. Vor jedem neuen Stück nimmt Schenk die einzelnen Stimmen auf und versendet an jedes Mitglied die Tonaufnahmen. „Mein Anspruch ist hoch. Zuhause üben, setze ich voraus“, ist die Mutter zweier Töchter ehrlich. Wenn dann alle Woche für Woche zur Probe erscheinen, wird der Feinschliff gemacht. Etwa zwei Monate vor einem Konzert müssen die Texte auswendig sitzen. Das sei sehr wichtig, denn das echte Musizieren beginne im Prinzip erst, wenn die Noten weg sind. „Erst dann ist ein intensiver Blickkontakt möglich und der emotionale Ausdruck kommt“, so Schenk.

Großes Bedürfnis nach Gesang

Das Repertoire ist breit gefächert – von „Over the Rainbow“ bis hin zu A-cappella-Stücken. Zehn Euro zahlt jedes Mitglied pro Monat für den Chor. Einen Teil des Geldes legt Sandra Schenk für Probenwochenenden oder andere gemeinsame Veranstaltungen zur Seite, um gegebenenfalls die finanziell Schwächeren zu unterstützen. Ihr ist wichtig, dass jeder die Möglichkeit hat teilzuhaben. Von Beginn an – bis heute – initiiert sie einmal im Monat eine gemeinsame Aktivität außerhalb des Singens, die die Gemeinschaft stärkt: Salsa tanzen, einen Teekurs besuchen oder Wandern. Mittlerweile haben sich viele Freundschaften unter den Mitgliedern entwickelt. „Die Arbeit beflügelt mich, treibt mich an. Es ist ein Geschenk für mich, dass mir Menschen ihr Vertrauen schenken.“ Die in London geborene Schenk genoss selbst früh musikalische Förderung durch ihr Elternhaus. Sie ist bis heute dankbar dafür. Auch bei anderen sieht sie ein großes Bedürfnis nach Gesang. Ihrer Meinung nach ist dies darin begründet, dass die Menschen den Fokus auf etwas Positives legen wollen, bei dem sie Kraft tanken können und Gemeinschaft erleben.

Zusammenschluss als Rettung

Gemeinschaft wird auch bei den Mitgliedern des Männerchors Frankweiler/Nußdorf großgeschrieben. 2020 standen ihre Traditionschöre 1855 Nußdorf und 1864 Frankweiler vor dem Aus. Die Gründe: fehlende Chorleiter sowie Mitglieder, dazu Nachwuchssorgen. Doch sie kämpften für den Erhalt. Ihre Rettung: Ilse Berner. Die gebürtige Pfälzerin studierte Oper und Konzert in Mainz, ist Berufssängerin und hat jahrelange Erfahrung als Leiterin zahlreicher Chöre: „Als mich die beiden Männerchöre kontaktiert haben, ob ich ihre Leitung übernehme, konnte ich es nicht übers Herz bringen, nein zu sagen.“ Kurzerhand, berichtet Berner, versprach sie: „Wir versuchen, ob’s funktioniert.“ Allerdings zu ihren Konditionen. Da beide Chöre für sich zu klein und so nicht mehr singfähig waren, schlug sie einen Zusammenschluss vor, gab Ort und Zeit vor. Alle ließen sich darauf ein. Mit Erfolg. „Der Versuch ist geglückt“, sagt sie lachend und fügt hinzu: „Heute lieben wir uns heiß und innig.“

Männerchor Frankweiler/Nußdorf
MIT ERFAHRUNG Der älteste Sänger im Männerchor Frankweiler/Nußdorf ist stolze 87 Jahre alt. Foto: Norman Kraus

Voller Körpereinsatz

„F, f, f, und jetzt s, s, s, und noch p, p, p – ja genau.“ Atem- und Stimmübungen sind zu Beginn jeder Probe Pflicht. Dann fordert Ilse Berner die Männer zum ersten Lied auf: „Haut sie raus, die Töne – mit Schwung.“ Sie begleitet am Klavier. Mit vollem Körpereinsatz powert sie ihre Männer durch die Stunde, wie sie selbst sagt. Konzentriert und effektiv. Das kostet Berner viel Kraft. Disziplin und die Bereitschaft der Sänger, sich auch mal auf etwas Neues einzulassen, sowie regelmäßig zu den Proben zu erscheinen, setzt sie daher voraus. „Ein guter Chor funktioniert nur, wenn sich alle zusammenreißen und verlässlich sind“, ist die Pfälzerin überzeugt. Das sei ein Balanceakt. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, der Gruppe Struktur zu geben und gleichzeitig Zusammenhalt zu schaffen. Wenn es nicht läuft, gibt es eine Ansage von ihr. Immer mit dabei: eine Portion Humor.

Neue Auftrittsorte

Über den neuen Schwung, den sie mitbrachte, sind die Chormitglieder froh. Das war nicht selbstverständlich. Denn die 20 Männer waren eine eingeschworene Gemeinschaft mit Erfahrung. Der älteste Sänger ist stolze 87 Jahre alt und probt seit 1951 jede Woche. Der jüngste ist 57. „Und dann komme ich mit meinen 1,58 Metern als Frau und dazu noch jünger“, merkt Berner lachend an. „Aber ich loss‘ mich ned beeindrucke und verzehl‘ dene was.“ Trotz anfänglicher Skepsis fanden sie am Ende zusammen. Ihre direkte, herzliche Art kommt gut an. „Die können singen und die Leute vom Sitz reißen“, schwärmt die Birkweilerin. Gerade bei Auftritten würden die Männer leistungsmäßig durch die Decke gehen. Und davon haben sie seit ihrer Zusammenführung genug. Denn meist müssen sie sowohl in Nußdorf als auch in Frankweiler vorsingen. Auch neue Auftrittsorte wie Pfälzer Hütten sind mit Ilse Berner dazu gekommen.

Zukunftsfähig bleiben

Den Chor sichtbarer zu machen und ein größeres Publikum anzusprechen – das hält sie für unabdingbar, wenn die Gemeinschaft zukunftsfähig bleiben wolle. „Wenn unsere Männerchöre sterben, geht auch traditionelles Liedergut verloren und mit ihnen ein Teil unser Pfälzer Kultur und Identität“, warnt Berner und bekräftigt, wie wichtig es sei, Männerchöre zu pflegen und am Leben zu erhalten. Dazu trage auch eine Ausweitung des Repertoires bei – von Altbewährtem bis hin zu Modernem. „Auf eine gute Mischung kommt es an. Wir wollen und müssen ja auch den Nachwuchs ansprechen und unserem Publikum Vielfalt bieten“, erklärt Berner die Notwenigkeit sich auf Neues einzulassen. Das kommt beim Chor nicht immer gut an. „Wenn’s auf Englisch ist, sagt auch mal einer: ,Ich sing nicht mit‘“, erzählt Berner. Doch da gibt’s bei ihr nichts. „Ein Chor ist hochsozial. Singen ist sehr persönlich. Auch wenn ich ein Lied blöd finde, singe ich aus Solidarität mit. Das heißt, jeder muss sich rühren. Raus aus seiner Komfortzone.“ Genau das macht für die Berufssängerin den Reiz aus. Einen Weg zu finden, Männerchöre von ihrem teils verstaubten Image zu befreien. Zu zeigen, dass sich auf den Dörfern etwas bewegt.

Teil der Demokratiebewegung

Männerchöre haben in der Pfalz eine lange Tradition – so auch die aus Frankweiler und Nußdorf. Die meisten gründeten sich im 19. Jahrhundert und waren wichtiger Teil der deutschen Demokratiebewegung. Sie standen für freies Gedankengut, volkstümliche Werte und Gemeinschaft. Doch so, wie lange Zeit bei vielen der Wunsch bestand, einem Verein oder einer Gemeinschaft anzugehören, streben die Menschen heute nach mehr Flexibilität und wollen sich immer weniger an Institutionen binden. Die Mitgliedschaft in einem Verein bringt jedoch auch Anforderungen und Aufgaben mit sich. Und damit kollidieren Freizeitverhalten und Lebensumstände heutzutage teilweise. Die Pandemie hat das verstärkt und sorgte auch in der Pfälzer Chorlandschaft für einen deutlichen Einbruch. Viele Mitglieder blieben auch danach fern, neue blieben aus. Was zur Folge hatte, dass sich einige Vereine auflösen mussten. Trotz mehrfacher Nachfrage stand uns der Chorverband der Pfalz e.V. bedauerlicherweise nicht für ein Interview zu aktuellen Zahlen sowie zur Entwicklung der Chöre in der Pfalz zur Verfügung.

Die Distanz brechen

Vorreiter für einen kreativen und modernen Arbeitsstil, ein Umdenken, ist der Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Beat Fehlmann. Seit seiner Übernahme des Orchesters 2018 hat er nicht nur die Zahlen der Abonnements für dessen Konzerte kontinuierlich gesteigert. 2022 wurde ihm der Kulturpreis der deutschen Orchester verliehen. Er animiert seine Mitarbeiter zu mehr Eigeninitiative und Kreativität: „Wir müssen schaffen, die Distanz zu brechen, die sich bei vielen Menschen aufgebaut hat, in ein Konzert zu gehen oder selbst Musik zu machen.“ Das gilt laut Fehlmann für Orchester wie für Chöre. „Musik muss durch neue, attraktive Erlebnisräume erlebbarer werden, um Menschen wieder zur Musik zu verführen. Das Besondere, Einmalige am Erlebnis muss spürbar werden“, fordert Fehlmann auf. Seiner Meinung nach müssen mehr interaktive Formate erfunden werden, um die Menschen einzubeziehen. Ihnen die Möglichkeit geben, etwas auszuprobieren, ob nun selbst singend und musizierend oder als Zuhörer.

Beat Fehlmann
ERLEBNISRÄUME Staatsphilharmonie-Intendant Beat Fehlmann will Einmaligkeit von Musik spürbar machen. Foto: Staatsphilharmonie/Francesco Futterer

Neue Denkanstöße

Die große Frage dabei sei: Wie gelingt das? Schließlich haben sich im Laufe der Zeit die Lebensumstände verändert. Die Verführung, zu Hause zu verweilen, sei groß, meint Fehlmann. Aber das Bedürfnis nach Interaktion, gemeinsamem Erlebnis sei ebenso stark. „Das geht nicht einfach verloren“, ist der Intendant überzeugt und regt zu neuen Denkanstößen an. Während es früher selbstverständlich war, in der Schule zu singen, müssten viele heute erst einmal daran herangeführt werden. Stichwort: die „Ich-kann-nicht-singen“-Barriere. Doch genau darin liege die Chance, sich überzeugen zu lassen und etwas auszuprobieren – für das fast jeder belohnt wird. Denn Singen hat eine ganzheitliche Wirkung auf Körper und Geist. So ist erforscht und wissenschaftlich bewiesen, dass sowohl während des eigenen Musizierens und Singens als auch beim Hören eines Konzerts vermehrt Glückshormone ausgeschüttet werden. Die enorme Anzahl von 100 Muskeln werden beim Singen beansprucht. Zudem kann Musizieren zu einer besseren Gedächtnisleistung führen und die Konzentrationsfähigkeit steigern.

Chorprojekt der Staatsphilharmonie
NEUE WEGE Besondere Formate, wie etwa das Zusammenspiel von Orchester, Chor und Band, sollen die Menschen wieder zur Musik verführen. Hier Musiker der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz bei einem Konzert im Mannheimer Capitol. Foto: Staatsphilharmonie/Catharina Waschke

Heilende und stärkende Wirkung

Musik hat eine heilende und stärkende Wirkung. All das hat zur Folge, dass unsere seelische und körperliche Gesundheit profitiert. In Gemeinschaft verstärkt sich dieser Effekt sogar. „Man spricht auch vom ‚Flow-Erlebnis’ – einem Zustand des Tragens, der beglückend und zugleich Kraft spendend ist. Wir können dadurch mehr Zufriedenheit und Ausgeglichenheit erlangen“, erklärt Beat Fehlmann. Der gebürtige Schweizer ist der festen Überzeugung, dass Chöre Zukunft haben, da es die natürlichste, direkteste und eindrücklichste Form des Musizierens sei. Prinzipiell hat jeder eine Stimme, die sie oder er einsetzen kann. „Der Körper ist ein unglaubliches Resonanzmittel. Lässt man sich auf das Singen ein, hat man die wunderbare Möglichkeit, das Gefühl ‚im Klang sein‘ zu erleben“, beschreibt Fehlmann. Hinzu kommt beim gemeinsamen Singen und Musizieren die soziale Komponente: Man lernt, wie man inter-agiert, atmet gemeinsam und muss sich abstimmen. Das verändert, prägt und schafft Zusammengehörigkeit. Singen ist also quasi eine Wunderpille. Und tatsächlich wird daran geforscht, ob es so etwas wie „Singen auf Rezept“ geben sollte. „Die Ressource ist da. Sie wird nur noch nicht ausgeprägt genutzt“, bekräftigt Fehlmann die Überlegungen.

Eine kulturelle Notwendigkeit

Die Mitglieder des im Jahr 2003 gegründeten 1. Frankenthaler Männerchor 03 würden das sofort unterschreiben. Für sie ist Chor und Singen eine kulturelle Notwendigkeit. Das Gefühl des gemeinsamen Singens möchten sie nicht missen. „Der Chor ist eine Erfüllung für mich“, schwärmt Leiter Walter Zipp. Der 55-Jährige nahm bereits in seiner Jugend Klavier- und Posaunenunterricht. Musik spielte immer eine Rolle in seinem Leben. Als im Oktober 2002, bei einem Konzert der „Anonyme Giddarischde“, Willi Brausch auf ihn zukam und ihm von seiner Idee eines rockigen Männerchors in Frankenthal erzählte, war er hellauf begeistert. „Ich hatte die Idee schon länger. Als ich Walter angeschaut habe, wusste ich: Mit dem verrückten Typ geht das“, erzählt Brausch lachend. Der studierte Maschinenbauer Zipp hatte zwar bis dato keine Chorleitererfahrung, war aber vom ersten Augenblick Feuer und Flamme. „Bei uns lief es von Anfang an anders als bei vielen traditionellen Männerchören in der Pfalz. In der Frankenthaler Musikszene, die schon immer eng war, kannte und schätzte man sich. Wir haben dann einige angesprochen, die schon Bandmusiker waren, also Musikamateure an Gitarre, Bass, Schlagzeug oder Keyboard. Und die hatten alle Lust mitzumachen“, erinnert sich Zipp.

Das Werben um Nachwuchs

Nach der ersten Probe im Januar 2003 wurden sie schnell eine Gemeinschaft, berichten Zipp und Brausch. Mehr als das: Es entwickelten sich tiefe Männerfreundschaften. Heute zählt der Chor 35 aktive Sänger. Der jüngste ist 40, der älteste 70 Jahre alt. „Damals haben wir alle weit unter 60 begonnen. Heute sind wir froh über jeden, der deutlich unter 50 Jahre ist und zu uns stößt“, sagt Willi Brausch mit einem lachenden und weinenden Auge. Denn auch ihr Chor muss sich mit der natürlichen Alterung und dem Kampf um Nachwuchs auseinandersetzen. „Wir sind keine begnadeten Musiker – aber ein eingeschworener Haufen aus Amateuren, mit dem Herzen am richtigen Fleck und offen für Neues“, meint der 62-jährige Brausch, der beruflich als Erzieher tätig ist. Um mitzumachen brauche man keine besonderen Voraussetzungen. „Ich höre mir die Leute vor der Probe kurz an, um zu schauen, in welches Stimmregister ich sie einordne und welche Grundkenntnisse sie haben. Noten lesen ist von Vorteil, aber nicht zwingend“, erklärt Chorleiter Zipp. Manche steigen ein und wieder aus, weil es ihnen „too much“ sei. Brausch fügt mit Augenzwinkern hinzu: „Na ja, es ist so: Entweder ich kann saugut singen oder ich sehe saugut aus. Da gibt es welche bei uns, die die Damen in den ersten Reihen bei Konzerten verzücken.“

Angesagte Konzerte

Die Konzerte des Chores sind angesagt. Besonders die Liederabende im Frankenthaler Congressforum, zu denen gerne mal mehr als 1000 Besucher kommen. „Wir spielen mit Pause mindestens drei Stunden, sind mit 100 Prozent Herzblut dabei. Wir geben alles von der ersten bis zur letzten Sekunde, um das Publikum nach einem geilen Abend erfüllt nach Hause gehen zu lassen“, kommt Walter Zipp ins Schwärmen. Das Repertoire erstreckt sich von AC/DC über Queen bis hin zu klassischer Chorliteratur – vierstimmig und stets mit echter Pfälzer Lebensfreude. Sie seien selbst immer wieder erstaunt, wer zu ihren Konzerten käme. Darunter seien auch etliche Senioren. Das Schöne sei, dass das Publikum ihnen auch Fehler verzeihe. Brausch und Zipp sind sich sicher, dass das an ihrer Authentizität liege: „Wenn wir auf der Bühne stehen, spürt man diese überwältigende Freundschaft unter uns. Dazu die Liebe zu Pfalz und Rockmusik“.

Konzert 1. Frankenthaler Männerchor 03
VOLLES HAUS Zu den Liederabenden des 1. Frankenthaler Männerchors 03 im Congressforum kommen gerne mal mehr als 1000 Besucher. Foto: MC FT/Robert Kwiatek

Unermüdlicher Einsatz

Die Chorprobe findet meist einmal wöchentlich donnerstagabends statt. „Inklusive Schorlepuffer, Lockerheit, viel Spaß, aber auch Konzentration“, sagt Zipp schmunzelnd. Seit einer Weile wird er ab und an von der zweiten Chorleiterin Steffi Geißler, einer Lehrerin aus Frankenthal, unterstützt. Denn die Vorbereitung bedarf jedes Mal einiger Zeit. Zipp schreibt die Chorliteratur fast ausnahmslos selbst. Mittlerweile umfasst das Repertoire mehr als 60 Lieder. „Manchmal brauche ich drei Überarbeitungen oder mehr. Dann fließt es wieder aus der Feder“, berichtet er. Teilweise müssten sie sich ziemlich durchbeißen, die Stücke hart erarbeiten. Aber der gemeinsame Weg sei eben das Ziel. Willi Brausch ist sich sicher, dass es den Chor ohne den unermüdlichen Einsatz ihres Chorleiters nicht mehr gäbe: „Was der leistet und für uns tut, kann man nicht beschreiben.“

Gemeinschaft als Anziehungspunkt

Markus Melchioris Meinung nach sind Chöre immer noch attraktiv – auch kirchliche. Vor allem bei Kindern. Seit 2009 ist Melchiori Domkapellmeister in Speyer. Nachwuchssorgen gibt es dort bislang keine. Seit 2011 wurde das Angebot kontinuierlich ausgebaut. Heute singen mehr als 350 Kinder und Jugendliche in den Chören. Bereits ab dem ersten Lebensjahr ist gemeinsames Singen mit einem Elternteil im kostenpflichtigen „Musikgarten“ möglich. Ab vier Jahren können die Kinder im so genannten C-Chor singen. Ab der zweiten Klasse proben Mädchen und Jungen zweimal die Woche getrennt, und ab der achten Klasse gibt es den Konzertchor mit Auftritten und Reisen. Dann wird zwei- bis dreimal pro Woche jeweils ein bis eineinhalb Stunden lang geübt. „Die Kinder wollen das und saugen alles auf. Ich denke die Gemeinschaft ist der Anziehungspunkt. Sie kennen sich teils von klein auf, wachsen gemeinsam,“ berichtet Melchiori. „Es gibt zwar immer welche, die irgendwann aufhören. Aber die meisten bleiben oder kommen wieder.“

Markus Melchiori
MIT BEGEISTERUNG Domkapellmeister
Markus Melchiori ist es wichtig, Musik lebendig zu vermitteln. Fotos: Dommusik Speyer/Klaus Landry

Musik lebendig vermitteln

Um diese Vielfalt zu ermöglichen, braucht es ein Team. Neben Melchiori sind es der Domkantor Joachim Weller sowie rund 20 Mitarbeiter, die bei Musikunterricht, Stimmbildung und der seit 2013 existierenden Kooperation mit der Grundschule „Klosterschule St. Magdalenen“ mitwirken. Auch wenn der Fokus seiner Chorarbeit bislang bei Kindern und Jugendlichen liegt, ist es Melchioris Anliegen, ein Angebot für alle Altersgruppen zu schaffen. So gab es in den vergangenen Jahren ein Elternchor-Projekt und seit Januar 2023 die Seniorenkantorei, in der 70 Männer und Frauen 14-tägig mittwochs gemeinsam proben. „Mir ist wichtig, Musik lebendig zu vermitteln für Kinder wie Erwachsene“, sagt der 49-Jährige. Seine Motivation: Menschen für gemeinsames Singen zu begeistern. Seine eigene Chorkarriere begann mit acht Jahren. Er genoss Chorerziehung bei den Domsängerknaben Limburg und entschied sich nach dem Abitur, Kirchenmusik in Frankfurt zu studieren. „Ich war von Anfang an begeistert vom gemeinsamen Musizieren. Mit anderen das Gleiche zu tun und so über das Singen hinaus soziale Kompetenzen zu erlangen“, erzählt der gebürtige Westerwälder.

Dommusik Speyer
VIELSTIMMIG In Speyer gibt es bislang keine Nachwuchssorgen. Foto: Dommusik Speyer/Klaus Landry

Wunsch nach mehr Initiatoren

Was einen Chor immer attraktiv macht, ist Melchioris Meinung nach die Qualität. Seine Literaturauswahl sei konservativ. So wählt er anspruchsvolle Chormusik aller Epochen, manchmal auch oratorische Werke mit Orchester. Sie begeistert auch die Jüngeren. „Ab und an streue ich etwas Modernes ein, aber in der Regel wollen unsere Kinder und Jugendlichen keine Popmusik. Wenn ich einen Link zum Reinhören rumschicke, kennen die meisten die Stücke nicht. Doch gerade das finden sie spannend“, weiß der Domkapellmeister. Das letztendliche Erfolgserlebnis sei der Auftritt, bei dem die Kinder das besondere Gefühl von Gemeinschaft und Zusammenhalt erleben und eine direkte Reaktion erfahren. Voraussetzung dafür ist zu lernen, aufeinander zu hören und etwas gemeinsam zu perfektionieren. Markus Melchioris Wunsch ist, dass es auch in kleinen Orten wieder mehr Initiatoren für Chorprojekte gibt, was sicherlich nicht ohne Ehrenamt funktioniert. Denn nicht jeder Chorleiter kann für seine Arbeit und sein Engagement honoriert werden. Für das Gemeinschaftserlebnis und den gesellschaftlichen Zusammenhalt aber ist die Kraft der Stimmen unbezahlbar.

Dommusik Speyer
BEGEISTERTER NACHWUCHS In den Chören der Dommusik singen mehr als 350 Kinder und Jugendliche. Foto: Dommusik Speyer/Klaus Landry

Die Palatöne

Männerchor Frankweiler/Nußdorf

1. Frankenthaler Männerchor 03

Dommusik Speyer

Palatöne

Paladvent 2024: Samstag, 14. Dezember, 18.30 Uhr, katholische Kirche Busenberg

Konzert mit dem Chor Canta de Joia aus der Dordogne: Freitag, 2. Mai 2025, katholische Kirche Busenberg

Französisch-deutsches Fest mit Chorgesang: Samstag, 3. Mai 2025, Park Rumbach

Männerchor Frankweiler/Nußdorf

Weihnachtskonzert: Sonntag, 8. Dezember, 17 Uhr, Kirche Frankweiler

1. Frankenthaler Männerchor 03

Veranstaltungsreihe „Sing Mim Chor“: jeweils Mittwoch, 16. Oktober, 20. November und 18. Dezember, 19.30 Uhr, Kleintierzuchtverein „Hasenbock“ Frankenthal

Liederabend im Congressforum: Samstag, 9. November, 20 Uhr, Congressforum Frankenthal

Konzerte der Chöre am Dom zu Speyer

Konzert des Mädchenchors: Samstag, 16. November, 19.30 Uhr

Konzertreihe Cantate Domino: Wir sagen Euch an…!: Samstag, 30. November, 16 Uhr

Konzertreihe Cantate Domino: Nun freut Euch, Ihr Christen!: Samstag, 11. Januar 2025, 18 Uhr

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Pfälzer Weinzukunft

Die Zukunft im Weinglas

Absatzkrise und Preisverfall. Alkohol versus Gesundheit. Klimawandel und Naturschutz. Winzerbetriebe müssen sich derzeit zahlreichen Herausforderungen stellen. VielPfalz hat sich bei Winzern und Wissenschaftlern umgehört, welche Themen die Arbeit im Weinberg und Keller beeinflussen.

Foto: Corina Rainer/Unsplash

In der Pfalz ist Wein mehr als ein Getränk. Er prägt Landschaft und Lebensart. Und er ist ein nicht wegzudenkender Wirtschaftsfaktor – Gastronomie und Tourismus eingeschlossen. Wenn sich in der Weinwelt etwas tut, dann betrifft es fast alle. Derzeit ist vieles im Umbruch. Klimawandel sowie eine globale Absatzkrise sorgen für enorme Herausforderungen. „Wenn wir zukunftsfähig sein wollen, ist eine hohe Innovationsoffenheit wichtig“, betont Dominik Durner. Der Studiengangleiter für Weinbau und Önologie am Weincampus in Neustadt hat die Branche im Blick. Er bezeichnet das große Feld der Nachhaltigkeit, auf dem schon viel geschehe, als zentrale Aufgabe. Weitere wichtige Themen sind für ihn ein verändertes Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung und die Digitalisierung, die auch vor Weinberg und Keller nicht Halt mache.

Gesundheit im Fokus

Für Männer ein Viertel, für Frauen ein Achtel pro Tag. Das galt lange als gesundheitlich unbedenkliche Menge an Weinkonsum. Spätestens seit im August die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) mitteilte, dass es keine sichere Alkoholmenge für einen unbedenklichen Konsum gebe, ist dieses Narrativ überholt. Das neue Gesundheitsbewusstsein und damit ein kritischerer Umgang mit Alkohol beschäftigt die Weinwelt schon länger. Nicht nur in der Pfalz, sondern global. Bereits jetzt verzichtet rund ein Fünftel der Bevölkerung im „Dry January“ auf Alkohol – Tendenz steigend. Die Entwickung macht sich schon im sinkenden Absatz bemerkbar. „Der gesellschaftliche Wandel ist da. Dem können und wollen wir als Weinbranche nicht entgegenwirken. Im Gegenteil, wir müssen das Thema für uns nutzen“, ordnet Durner dies ein. Ein wichtiger Aspekt sei dabei die Aufklärung über bewussten Konsum nach dem Motto „weniger Quantität, mehr Qualität“. Das plakativste Beispiel für Durner ist jedoch der alkoholfreie Wein.

Dominik Durner
INNOVATIONSOFFEN Dominik Durner bezeichnet das große Feld der Nachhaltigkeit als zentrale Aufgabe. Foto: Stephan Presser Photografy

Alkoholfrei im Aufwind

Mit diesem Trendthema beschäftigt sich eine Forschergruppe am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz (DLR) in Neustadt. Katrin Oster ist studierte Önologin und seit Jahren auf alkoholfreie Weine spezialisiert. Sie beobachtet vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen ein ständig steigendes Interesse an alkoholfreiem Wein. „Das Segment ist breiter geworden. Es gibt mehr Produktvielfalt und die Qualität ist deutlich besser“, erklärt sie. Der Marktanteil liege zwar noch knapp unter drei Prozent. Doch es gebe Wachstumsraten von 18 Prozent pro Jahr, so Oster.

Katrin Oster
TRENDTHEMA IM BLICK Katrin Oster ist auf alkoholfreie Weine spezialisiert. Foto: DLR/Aline Wyrwich

Winzer spüren den Trend

Ist das der Ausweg aus der Absatzkrise? Zum Teil, sagt die Expertin, denn mit alkoholfreiem Wein könnten zumindest neue Kundengruppen erschlossen werden, etwa ein städtisches Publikum. „Es geht dabei nicht darum, den normalen Wein zu ersetzen, sondern vielmehr ein neues Marktsegment zu eröffnen. Ich sehe alkoholfreie Weine als Zusatzprodukt“, sagt Oster. Dass dieses auch in der Pfalz mehr und mehr angenommen wird, zeigt ein Blick auf das Weinangebot des diesjährigen Bad Dürkheimer Wurstmarktes. Nachdem 2023 erstmals alkoholfreie Weine zugelassen wurden, jedoch gerade mal ein Produkt im Angebot war, standen 2024 bereits sieben verschiedene Alkoholfreie bereit.

Produktqualität muss stimmen

Ein Winzer, der den Trend schon spürt, ist Christian Nett vom Weingut Bergdolt-Reif und Nett aus Duttweiler. „Wir sind erst 2022 gestartet, trotzdem machen unsere alkoholfreien Weine mittlerweile schon zehn Prozent des Absatzes aus“, verrät er. Im Januar seien es sogar mehr als 20 Prozent gewesen, so Nett. Mit alkoholfreien Weinen ist er mittlerweile auch in einem Sternelokal gelistet. Kunden, die bei ihm auf den Hof kommen, reagieren positiv. Der Weinmacher ist überzeugt: „Wir müssen das als Branche jetzt machen! Und wir sollten das Thema nicht nur der Industrie überlassen. Alkoholfreie Weine können auch ein Produkt aus Winzerhand sein, das einen individuellen Stil transportiert.“ Dafür sei es jedoch wichtig, dass die Verbraucher positive Erfahrungen machen – der Schlüssel dazu liegt in der Produktqualität.

Christian Nett
AUS ÜBERZEUGUNG Christian Nett glaubt fest daran, dass alkoholfreier Wein künftig noch mehr nachgefragt wird. Foto: Weingut Bergdolt-Reif & Nett/Felix Graf

Qualität des Grundweins entscheidet

Wie man diese steigern kann, da sind sich Christian Nett und Katrin Oster einig. Einfach Reste aus dem Keller zu entalkoholisieren, funktioniere nicht. Die Qualität des Grundweins muss bereits stimmen. „Man verliert bei der Entalkoholisierung Aroma. Daher braucht man schon vorher möglichst viel. Und der Wein muss sauber sein, denn Fehler verschwinden bei dem Verfahren nicht“, erklärt Nett. Katrin Oster vom DLR fügt hinzu: „Wir empfehlen auch, den Wein schnell nach der Gärung zu entalkoholisieren, weil dann das Aroma sehr präsent ist.“

Aroma-Rückgewinnung als Schlüssel

Entzogen wird der Alkohol in der sogenannten Vakuumdestillation. Hier verdampfen die Prozente bereits bei Temperaturen um die 30 Grad, was den Wein schont. Für einen Qualitätsschub sorge eine neue Aromarückgewinnungs-Technologie. „Das ist für uns der Schlüssel gewesen“, sagt Christian Nett. Er betont aber auch: Die Kosten steigen dadurch stark, was eine der größten Hürden in Sachen Alkoholfrei sei. Oster ergänzt: Die Weine kosteneffizient zu produzieren, sei nicht leicht. Gerade für Weingüter, die eher kleinere Chargen herstellen und auf hohe Qualität setzten, seien Flaschenpreise unter zehn Euro fast nicht machbar. Für Christian Nett überwiegen am Ende die Vorteile. Er ist überzeugt, dass in Zukunft noch mehr alkoholfreier Wein aus der Pfalz im Glas landen wird.

Zukunftsmodell Nachhaltigkeit

Ein anderer Zukunftstrend ist bereits allgegenwärtig: Wein soll nachhaltig werden. „Es geht nicht nur um Bioweinbau. Der gehört ja schon beinahe zur guten fachmännischen Praxis“, sagt Winzer Jochen Schmitt vom Weingut Egon Schmitt in Bad Dürkheim. Mit Blick auf Nachhaltigkeit sei vielmehr die CO₂-Reduktion von zentraler Bedeutung. Sein Familienweingut hat Schmitt nicht nur biologisch, sondern auch CO₂-neutral zertifizieren lassen. Wie mehr als 50 weitere Weingüter in der Pfalz gehört es dem Verband „Fair’n Green“ an, der Weingüter auf ihrem Weg zu einem möglichst nachhaltigen Produkt begleitet. Auch Themen wie Bodenbewirtschaftung, Biodiversität, solides Wirtschaften und ein guter Umgang mit Mitarbeitenden gehören hier zu den Kriterien.

Jochen Schmitt
NACHHALTIG Für Jochen Schmitt ist die CO2-Reduktion von zentraler Bedeutung. Foto: Weingut Egon Schmitt/Melanie Hubach Photographie

Piwis: Weniger Pflanzenschutz

Fest steht: Fürs Gewissen sind diese Weine gut. Doch schmeckt man auch den Unterschied? Schmitt dazu: „Eigentlich nicht. Wobei wir Nachhaltigkeit auch so interpretieren, dass unsere Weine länger lagerbar sind und dadurch nachhaltigen Genuss bieten. Das erreichen wir zum Beispiel durch ein längeres Hefelager. Und das schmeckt man dann schon.“ Nachhaltigkeit bedeute hier sogar mehr Qualität. Wichtige Akteure sind für Schmitt zudem pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (Piwis), bei denen deutlich weniger Pflanzenschutz eingesetzt werden muss. Das schone die Natur gleich mehrfach, da durch weniger Traktor-Fahrten auch noch CO₂ eingespart werde. „Wir haben unsere erste Testphase mit den Piwis hinter uns und spüren Akzeptanz bei Fachpublikum und Verbrauchern. Jetzt fangen wir an, die Sorten auch mal in bessere Lagen zu setzen, wo vorher nur Riesling denkbar war, und probieren im Keller neue Sachen aus“, berichtet Schmitt. Immerhin habe er bereits einen 15-Prozent-Anteil an Piwis im Weinberg stehen.

„Künstliche Nase“ als Unterstützung

Während sich Piwis und Nachhaltigkeit vielfach bereits etabliert haben, ist der nächste Trend, den der Önologie-Professor Durner ins Spiel bringt, für viele eher schwer zu greifen: Digitalisierung und damit einhergehend Künstliche Intelligenz (KI). „In der Vermarktung sehe ich das schon. Ich habe auch schon experimentiert“, kommentiert Jochen Schmitt. Doch im Weinberg oder Keller sei das für ihn noch schwer vorstellbar. Dabei ist dies genau der Bereich, auf den Durner mit seiner Forschung abzielt: Im „Projekt zur Entwicklung künstlicher Intelligenz für die Önologie und Technologie im Weinbau“ (abgekürzt: Pinot) hat er es sich mit seinem Team zur Aufgabe gemacht, eine „künstliche Nase“ zu entwickeln, die künftig Winzer unterstützen soll.

Frau im Weinkeller
NEUE WEGE Bei der Arbeit im Keller soll Künstliche Intelligenz in Zukunft dabei helfen, den Kontrollaufwand zu verringern. Foto: Weincampus Neustadt/Stephan Presser Photography

Technik kann Betrieben helfen

„Es geht uns darum, Prozesse zu kontrollieren und zu verstehen. Der Kontrollaufwand im Keller ist sehr hoch. Mit KI können wir das leichter machen“, ist sich Durner sicher. Gerade kleineren Betrieben könne die Technik helfen, Personal zu sparen. Zusätzlich beschäftigt sich sein Projekt aber auch mit der sensorischen Beschreibung von Weinen. „Die Weinansprache ist wichtig, um Konsumenten zu erreichen. Mit KI können wir das noch individueller gestalten und gleichzeitig mehr Leute erreichen“, ist Durner überzeugt. Ein künstlicher Wein entstehe dabei am Ende aber nicht. Durner ist sich sicher: „Qualität geht am Ende über analytische Werte hinaus. Es kommt auch darauf an, wie, wo und von wem ein Produkt hergestellt wurde.“

Experimente mit Tonamphoren

Dass am Ende die Natur den Ton angibt, ist die Überzeugung vieler Winzer. Liegt hier die Gegenbewegung zum Digitalisierungs-Trend? Gerade sogenannte Naturweine, die möglichst ohne Eingriffe im Keller hergestellt werden, sind ebenfalls im Aufwind. Ein Weingut, das sich hier schon lange engagiert, ist das Weingut Sauer aus Landau-Nußdorf. Valentin Sauer ist überzeugt: „Wir erreichen das bestmögliche Ergebnis, indem wir mit der Natur und mit möglichst geringen Eingriffen arbeiten. Das fördert den Facettenreichtum unserer Weine.“ Sein Vater Heiner gehörte zu den Ersten, die in der Pfalz mit dem Ausbau von Wein in Tonamphoren experimentierten.

Familie Sauer
NISCHENPRODUKT Heiner Sauer (links) gehörte zu den Ersten, die in der Pfalz mit dem Ausbau in Tonamphoren (unten) experimentierten. Sohn Valentin (rechts) lässt den Stil wiederaufleben. Fotos: Weingut Sauer/Silvan Rapp
Tonamphoren

Der Natur freien Lauf lassen

Seit 2018 hat der Junior diesen Ausbaustil wieder aufleben lassen. Hier arbeitet er ohne Filtration, Reinzuchthefen und Schwefel – er lässt also der Natur freien Lauf. „Mich hat gereizt, etwas weg vom Mainstream zu gehen. Es ist ein sehr handwerkliches, schon fast archaisches Arbeiten“, sagt Sauer. Die Weine, die dabei entstünden, seien spannend und individuell, aber natürlich ein Nischenprodukt. Trotzdem trauen sich immer mehr Winzer, ganz allgemein näher an der Natur zu arbeiten. Und wo bleibt dann die Technik? „Gegen Technik habe ich nichts, mit Maß und Ziel eingesetzt. Im Weinberg könnte das auch für uns denkbar werden. Ich lasse mich da überraschen“, erklärt Sauer.

Neue Technik Bei Traubenproduktion

Digitale Innovation und naturnahes Weinmachen schließen einander also nicht aus. Durner sieht sogar gerade in diesem Bereich Chancen: „Je natürlicher ich im Keller arbeiten will, desto perfekter muss es im Weinberg laufen. Man kann ja später keine Fehler mehr ausgleichen. Daher sehe ich hier eine Chance in neuer Technik, die die Traubenproduktion überwacht.“ Eine Grenze zieht Valentin Sauer für sein Weingut aber doch: Entalkoholisieren will er seine Weine nicht, dafür habe er zu viel Energie in sie investiert. Ähnlich sieht das auch Jochen Schmitt: „Mein Winzerherz sagt nein, das wäre doch schade. Als Unternehmer sehe ich allerdings die Marktchancen und die Nachfrage. Daher haben wir immerhin mal ein kleines Experiment mit einem alkoholfreien Riesling gestartet.“

Kalmit
VIELFALT In Zukunft werden neben den Klassikern Burgunder und Riesling – zum Beispiel aus den Lagen am Kalmitwingert bei Ilbesheim – auch neue Rebsorten und alkoholfreie Weine angeboten werden. Foto: Deutsches Weininstitut

Klassiker in der Pfalz werden bleiben

Apropos Riesling: Wie geht es mit der traditionellen Pfälzer Rebsorte weiter, die oft totgesagt wird? Sicher, den Riesling wird es jetzt auch mal alkoholfrei geben, und Weinfreunde können ihn nun auch CO₂-neutral im Glas schwenken. Wer weniger Technik will, wird bei den Naturweinen fündig. Und dank KI schafft man es in Zukunft vielleicht leichter, guten Riesling zu erzeugen und ihn zudem noch effektiver zu vermarkten. Doch wird er sich auch langfristig halten? Jochen Schmitt meint dazu: „Ehrlich gesagt sehe ich einen der größten Trends aktuell in der Konzentration auf unsere starken Rebsorten, den Riesling und die Burgunder. Hier liegt weiterhin viel Qualitätspotenzial.“ Auch ein Blick in die Statistik zeigt: In den vergangenen Jahren haben Riesling und Burgunder immer wieder an Fläche gewonnen. Auch in Zukunft werden also Klassiker in der Pfalz in Gläser eingeschenkt werden – mit allen Innovationen, die dazu gehören.

Stichwort Alkoholfrei: Laut Weingesetz darf sich ein Wein nur alkoholfrei nennen, wenn er weniger als 0,5 Volumenprozent (% vol.) Alkohol enthält. Die für alle Produkte gültige Bezeichnung lautet „entalkoholisiert“.

Weincampus Neustadt

Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz

Weingut Bergdolt-Reif und Nett

Weingut Egon Schmitt

Weingut Sauer

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Pfälzer Weinzukunft

Die Pfälzer Zukunftswerkstatt

DLR, Weincampus und RLP AgroScience: In Neustadt gibt es Forschung und Lehre im Wein- und Gartenbau seit 125 Jahren.

Foto: DLR/Stephan Presser Photography

In Neustadt an der Weinstraße bildet das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz zusammen mit dem Weincampus Neustadt und der RLP AgroScience GmbH so etwas wie eine Zukunftswerkstatt der Pfalz. Zukunft hat hier Geschichte, denn auf dem Gelände nahe dem Stadtteil Mußbach (Foto) gibt es Forschung und Lehre im Wein- und Gartenbau seit nunmehr 125 Jahren. Die Arbeitsfelder reichen dabei von Wirtschaft und Wandel, über Qualität und Genuss sowie Nachhaltigkeit und Digitalisierung bis hin zu Forschung und Innovation.

Vor Ort erzeugtes Wissen in der Region nutzen

Ende des 19. Jahrhunderts waren mehrere Landwirtschaftsschulen und Lehranstalten in Deutschland gegründet worden. Damit nahm das landwirtschaftliche Ausbildungswesen seinen Anfang. In Neustadt war es 1899 die „Königlich-bayrische Wein- und Obstbauschule“, um den Besonderheiten der Pfalz mit Weinbau und anderen Sonderkulturen Rechnung tragen zu können. Zu den Aufgaben zählte bereits damals neben der Ausbildung des Nachwuchses die Weiterbildung von Erwachsenen. Damit sollte dafür gesorgt werden, dass vor Ort erzeugtes Wissen in der Region direkt genutzt werden kann. Daran hat sich letztlich bis heute nichts geändert.

Vielfalt der Aufgaben unterliegt ständigem Wandel

Mit der Zeit entwickelte sich die Obst- und Weinbauschule jedoch hin zu einer Lehr- und Versuchsanstalt. Auslöser dafür waren verheerende Schäden in Sonderkulturen, für die man Lösungen suchen musste. Die Forschung und Lehre werden seit 2003 unter dem Namen Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum weitergeführt, wobei die Vielfalt der Aufgaben einem ständigen Wandel unterliegt. Mit der Gründung der landeseigenen RLP AgroScience GmbH und der Entwicklung zum Hochschulstandort ist der DLR-Campus immer weiter gewachsen.

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Was wissen

Wie beschreiben Winzer das Weinmachen?

In unserer Rubrik zum Thema Weinwissen erklärt Rudolf Litty dieses Mal verschiedene Fachbegriffe rund um die Verarbeitung der Trauben nach der Lese.

Foto: Andrea Cairon/Unsplash

Ein Großteil der Lese 2024 ist mittlerweile abgeschlossen. Wenn die Winzerinnen und Winzer die Trauben holen, um sie im Keller zu verarbeiten, gibt es diverse Arbeitsschritte, die mit Fachbegriffen beschrieben werden. In dieser Folge liegt der Schwerpunkt dabei auf Worten, die mit dem Buchstaben „a“ beginnen.

Entrapper löst Beeren der Trauben

Abbeeren/Entrappen bedeutet, dass die Beeren der Trauben vor dem Pressen mit einem Gerät (Entrapper) vom Traubengerüst gelöst werden. Dies soll verhindern, dass Gerbstoffe, die bitter und unangenehm schmecken, mit aus den grünen Traubenstielen ausgepresst werden und so in den Most gelangen können. Die Trauben werden erst danach gekeltert. Dies wird meistens nur bei weißen Traubensorten gemacht. Bei der Ernte mit dem Traubenvollernter bleiben die meisten Traubenkämme am Rebstock hängen und es werden nur die reifen Beeren abgeschüttelt.

Maische wird in einer Kelter zerdrückt

Abpressen ist ein Begriff für das Keltern der Trauben oder der Maische. Beim Keltern wird die Maische, also die Mischung aus Fruchtfleisch, Kernen, Schalen und Saft, in einer Kelter zerdrückt. Sie ist eine Weinpresse, die den Most schonend aus der Maische abpresst. Zum Ausbau von Most und Jungwein gehören die Vergärung vom Most, eine spontane Vergärung, der biologische Säureabbau (die „spitz“ empfundene Äpfelsäure des Weines wird dabei in die weicher empfundene Milchsäure umgewandelt), die Reifung der Weine (im Holz- oder Barriquefass, Edelstahltank oder anderem Behältnis), das Stabilisieren des Weinsteins, das Schönen, das Filtrieren und zum Abfüllen in Weinflaschen vorbereiten. Hefepilze verwandeln den Zucker im Most durch Gärung in Äthylalkohol und Kohlensäure. Der tatsächliche (aktive) Gehalt an Alkohol muss auf dem Etikett in Volumenprozent (Vol.-%) aufgeführt sein. 1 Vol.-% Alkohol entspricht 7,95 g je Liter Alkohol. Die meisten Weißweine bewegen sich bei 11 bis 12 Vol.-%. Rotweine können höhere Werte bis 14 Vol.-% haben. Alkohol ist ein bedeutender Geschmacksträger im Wein. Die Anreicherung mit Zucker ist für Qualitätswein ein erlaubtes Verfahren, um den Alkoholgehalt im Wein zu erhöhen. In Frankreich verwendet man dafür den schönen Namen „Chaptalisieren“. Durch den Klimawandel, der immer häufiger für natürlich hohe Mostgewichte sorgt, ist dies kaum noch notwendig.

Kellermeister entscheidet nach Reifeentwicklung

Unter Abstich versteht man den Abzug eines Weines von seiner Gär-, Voll- oder Feinhefe. Er findet nach beendeter Gärung durch Umpumpen oder Ablassen des Weines in ein anderes Fass statt. Wein wird, wenn er für den Verkauf benötigt wird, in die gewünschte Weinflaschenform zum Verkauf abgefüllt. Die Entscheidung, wann dies geschieht, richtet der Kellermeister nach der Reifeentwicklung aus.

Weinqualität wirkt sich auf Farbe aus

Abgerundet beschreibt in der Weinsprache einen Wein bezüglich Geschmack und Geruch beziehungsweise als einen geschmacklich ausgewogenen Wein in Bezug auf Restsüße, Säure, Alkohol und Sortenaroma. Das Aussehen eines Weines wird nach den Kriterien Farbe, Klarheit und Geruch beurteilt. Ein junger Weißwein ist eher grünlich bis hellgelb und wird bei der Lagerung kräftiger in seiner Farbe. Auch die Weinqualität wirkt sich auf Farbe und Konsistenz aus. Beim Rosé oder Weißherbst wie auch beim Rotwein ist die Farbe stark von der Rebsorte abhängig. Die Farbe steckt in der Beerenhaut und je dicker sie ist, desto farbintensiver wird der Wein.

Der Experte

Rudolf Litty ist ehemaliger Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz. Beim Weinbauamt Neustadt/Weinstraße war er für die amtliche Qualitätsweinprüfung verantwortlich. Litty, geboren 1951, lebt in Klingenmünster und organisiert Weinseminare.

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Weinstöberei

Rares Gut

Eine edelsüße Rarität, die eine Symphonie an Aromen im Gepäck hat: Im Weinkeller des Weinhauses Ludwig Wagner & Sohn in Maikammer schlummern noch einige Flaschen edelsüße Albalonga Beerenauslese.

Sandra Wagner
Foto: Weinhaus Ludwig Wagner & Sohn

Jeder Liebhaber von edelsüßen Weinen sollte einmal im Leben in den Genuss von Albalonga kommen. Eine Flasche dieser Rebsorte zu ergattern, gestaltet sich jedoch fast schwieriger als die Jagd nach einer Elwetritsch. Mit weit weniger als 20 Hektar Rebfläche in Deutschland könnte man sagen, dass Albalonga das vierblättrige Kleeblatt unter den Weißweinen ist. Die Albalonga-Rebe wurde in den 1950er Jahren von Hans Breider in Würzburg aus Rieslaner und Silvaner gekreuzt. Nachdem sie 1971 offiziell in den Rebsortenspiegel aufgenommen wurde, fand sie neben Franken auch in der Pfalz eine Heimat. Ihr Name ist eine Anspielung auf die Form der Traube und bedeutet so viel wie die „Lange Weiße“.

Bei optimaler Reife mit Riesling vergleichbar

Bei einer optimalen Reife ist Albalonga mit Riesling vergleichbar. Die Weißweinsorte verfügt über eine ausgeprägte Säurestruktur und eine enorme exotische Aromenvielfalt. Albalonga treibt relativ spät aus und reift dementsprechend spät, sodass sie bei geeigneter Herbstwitterung zu einer guten Botrytisbildung neigt. Durch den Befall des Botrytispilzes werden die Beerenhäute perforiert, die Beeren trocknen aus und der Zucker wird durch Wasserverdunstung auf natürliche Weise stark konzentriert. Bei Albalonga-Reben müssen allerdings die Stockerträge restriktiv beschränkt werden, um gute Qualitäten zu erhalten. Sandra Wagner vom Weinhaus Ludwig Wagner & Sohn in Maikammer erklärt, dass bei ungünstiger Witterung die Erträge verschwindend gering sein können – mit ein Grund, weshalb die Rebsorte so rar ist. Im Weinkeller von Familie Wagner, wo auch noch 2015er Albalonga Trockenbeerenauslese lagert, wird man dennoch fündig.

Exotische Früchte, Dörrobst und leicht florales Bukett

Im Glas zeichnet die 2017er Beerenauslese deutliche Kirchenfenster an die Glaswand und strahlt intensiv mit goldenen Reflexen. Die Nase wird erfüllt von reifen, exotischen Früchten, Dörrobst und einem leicht floralen Bukett. Am Gaumen verschmelzen kandierte Früchte und Akazienhonig mit einer lebendigen Säure. Wer seine Geschmacksknospen auf Wolke 7 schweben lassen möchte, kombiniert diese Beerenauslese mit einem Stück Roquefort.

Flasche Albalonga Beerenauslese

2017er Albalonga Beerenauslese | 0,375 Liter | 10,50 Euro | Weinhaus Ludwig Wagner & Sohn | Maikammer | dasweinhauswagner.de

Inga Klohr
Winzerin Inga Klohr. Foto: AdLumina/Ralf Ziegler

Die VielPfalz-Weinstöberei

Besondere Cuvées oder ein spontan vergorener Literriesling – unter Pfälzer Weinen gibt es immer Spannendes zu entdecken. Weinstöberei heißt die Rubrik, in der Inga Klohr (geb. Storck) empfehlenswerte Weine vorstellt. Die Pfälzische Weinkönigin 2017/2018 und Deutsche Weinprinzessin 2018/2019 macht sich für VielPfalz auf die Suche nach besonderen Tropfen. Sie absolvierte den Dualen Studiengang Weinbau und Önologie am Weincampus in Neustadt an der Weinstraße und arbeitet als Winzerin.

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Pfälzer Szenen von Karin Mihm

Än Aagebligg: Am Geilweilerhof

Sie sind eine gezeichnete Kolumne. Sie sind ein optisches Ausrufezeichen in Sachen Genuss. Sie halten besondere Augenblicke in einer besonderen Form fest. Karin Mihm präsentiert Pfälzer Szenen mit lockerem Tuschestrich und fröhlichen Aquarellfarben.

Die Künstlerin

Foto: Privat

Karin Mihm, Jahrgang 1966, hat in Gießen und Marburg studiert. Einige Jahre lebte sie in Berlin, bevor es sie 2003 nach Düsseldorf zog, wo sie bis heute lebt. Ihr künstlerisches Werk reicht von Comics für Kinder und Erwachsene über politische Karikaturen, Illustrationen und Zeichnungen bis hin zur Malerei. Sie werden mit lockerem Tuschestrich und Aquarellfarben angefertigt. Karin Mihms Ziel: typische Orte zeichnen und dabei eine liebenswerte und humorvolle Perspektive einnehmen. In der Pfalz hat sie dazu eine große Auswahl.

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Pfälzer Perspektiven

Ohrenschmaus

Können Sie mit Ihren Ohren genießen? Zugegeben, meistens sind bei mir eher Mund und Nase dran, wenn es ums Genießen geht – guter Wein und gutes Essen stehen oben auf der Liste. Aber manchmal kommt der Genuss auch durch die Luft geflogen. Besonders im Sommer in der Pfalz!

Foto: Arno Senoner/Unsplash

Für die meisten geht es dabei natürlich um Musik: Vor allem die Freiluftsaison hält vom Festival bis zum klassischen Konzert viel bereit. Für manche reicht auch schon die Weinfestband oder die Jazz-Combo beim Frühschoppen. Wie bei Wein & Co. gilt auch hier: Was gefällt, ist Genuss – und das variiert bekanntlich von Person zu Person.

Region mit einzigartigem Klangteppich

Doch was gibt es abseits davon? Und was ist mit den genuin pfälzischen Geräuschen? Wenn man mal um die Ecke denkt beziehungsweise hört, gibt es auch hier viel zu entdecken – unsere Region hat ihren einzigartigen Klangteppich und irgendwie gehört er zum Gesamterlebnis: Die Vögel im Pfälzerwald geben jeden Tag ein individuelles Konzert. Das Knirschen des felsigen Sandsteinbodens und das Knacken trockener Zweige unter den Wanderschuhen gehören für manche zur Wochenendentspannung. Genauso bestimmen das Knattern von Oldtimern und das Motoren-Röhren schicker Sportwagen mit kurpfälzer Kennzeichen die typische Geräusch-Atmosphäre entlang der Weinstraße.

Wenn die Pfälzer loslegen, ist es einfach herrlich

So richtig pfälzisch wird es aber dann, wenn die Pfälzer selbst ins Spiel kommen – zugegeben, leise bleibt es dabei selten. Korken ploppen, Schraubverschlüsse ratschen, Sprudel trifft gurgelnd auf Riesling. Zarte Weingläser klirren in hellen Tönen, während schwere Dubbegläser eher brachial aufeinandertreffen. Um die Ecke brutzeln Bratwurst und Saumagen und wer sie schon in der Hand hat, gräbt seine Zähne krachend ins knusprige Brötchen.
Und dann kommt das Beste: Es wird Pfälzisch gesprochen! Das kann bei einer zufälligen Begegnung im Wald sein, auf der nächsten Hütte, auf dem Weinfest oder bei Mundart-Events – wenn die Pfälzer so richtig loslegen, ist es einfach herrlich. Wie oft habe ich schon im Vorbeigehen das Gespräch von ein paar Ur-Pfälzern belauscht, dabei jedes Wort genossen und mir gedacht: Wie schön, dass es das gibt! Der Mannheimer Literat Hans-Peter Schwöbel hat dieses spezielle Hörerlebnis einmal treffend „Vollbad in de Muddersprooch“ getauft. Ein heimatlicher Ohrenschmaus, der jede Pfälzerin und jeden Pfälzer ins Herz trifft – das zählt ja wohl zu Genuss, oder?

Die Autorin

Janina Huber, 1989 in Bad Dürkheim geboren, hat Geschichte, Latein und Philosophie studiert. Ihre Leidenschaft für Wein machte die pfälzische Weinkönigin 2013/2014 und Deutsche Weinkönigin 2014/2015 längst zum Beruf. 2018 startete sie als selbstständige Weinfachfrau mit den Schwerpunkten Moderation und Kommunikation. Weinkurse und Workshops für Profis und Liebhaber bei der Weinschule „Grape skills“ in Heidelberg sind jetzt ihre Hauptbeschäftigung.

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Pfälzer Pferdestärken

“Sanfte Riesen” in Wald und Wingert

Genügsam, entspannt und voller Kraft: Arbeits- und Zugpferde spielten früher in der Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Mechanisierung und Motorisierung verdrängten die vierbeinigen Helfer nahezu komplett. Doch Menschen stellen heute immer wieder fest, dass Pferde manches besser können als Maschinen. VielPfalz besuchte die „sanften Riesen“ und ihre Besitzer in der Pfalz.

Pferd im Wingert
ARBEITSTIER Mancherorts in der Pfalz erlebt das Pferd als starker Helfer eine Art Renaissance. Hier pflügen Philipp Böhrer (links)
und ein Mitarbeiter mit „Farceur“ in einem Weinberg bei Weisenheim am Sand.Foto: Norman Krauß

Im Märzen der Bauer die Rößlein einspannt.
Er pfleget und pflanzet all’ Bäume und Land.
Er ackert, er egget, er pflüget und sät,
und regt seine Hände gar früh und noch spät.

Dieses 1905 erstmals veröffentlichte Bauernlied ist ziemlich in Vergessenheit geraten. Ebenso sein Gegenstand. Denn lange schon haben auch in der Pfalz Maschinen die Zugpferde ersetzt. Aber nicht überall und nicht ausnahmslos. Denn, wie es scheint, wird man sich wieder mancherorts der Vorteile bewusst, die sich mit dem Pferd als starkem Helfer verbinden. So erleben die Kaltblüter teilweise eine Art Renaissance. Ihr Name steht übrigens nicht in Zusammenhang mit der Körpertemperatur, sondern bezieht sich auf das ruhige, ausgeglichene Temperament der Pferderassen mit hohem Körpergewicht. Sie werden deshalb gerne auch als „sanfte Riesen“ bezeichnet.

Mehr als 1000 Zuchtpferde

Hans-Willy Kusserow
Hans-Willy Kusserow. Foto: Privat

Für das Jahr 2022 zählte die Interessengemeinschaft Zugpferde (IGZ) im Gebiet Rhein-Pfalz/Saar nur noch 31 eingetragene Zuchtpferde verschiedener Kaltblutrassen. Ganz so schlimm steht es um die gutmütigen Dicken aber nicht, denn diese Zahl trügt. Zum einen sind nicht alle Züchter und Pferdehalter in der IGZ gemeldet. Zum anderen hat sich eine ganze Reihe an Haltern und Züchtern aus Rheinland-Pfalz, warum auch immer, dem Landesverband Baden-Württemberg angeschlossen. Und für Baden-Württemberg hat die IGZ im Jahr 2022 immerhin etwas mehr als 1000 Kaltblut-Zuchtpferde gezählt, einschließlich einer nicht bezifferten Anzahl aus Rheinland-Pfalz. Experten wie Hans-Willy Kusserow, der das Zuchtbuch der Kaltblut-Rasse Pfalz-Ardenner mit entworfen hat, sind vorsichtig optimistisch. Der Fachmann sieht eine Renaissance des Zugpferdes, auch in der Pfalz. „Die Hochzeit der Zugpferde liegt zwar schon lange zurück. Sie ist auf die 1950er-Jahre zu datieren. Aber inzwischen zeigt das allgemeine Loblied auf land- und forstwirtschaftliche Maschinen auch einige kritische Zwischentöne. Man beginnt, in einigen Bereichen und Nischen den Wert von Kaltblutpferden wieder neu zu entdecken“, erklärt Kusserow.

Liebe auf den ersten Blick

Philipp Böhrer wohnt in Maxdorf und arbeitet im Hauptberuf als Schlosser. Zu den Mitgliedern seiner jungen Familie gehört neben Frau und zwei kleinen Kindern auch ein Pferd. Böhrer war 2015 noch Lehrling und hatte damals nach eigenen Worten „nix auf der Kralle“. Aber als er auf einer Zuchtschau in Frankreich die Bekanntschaft mit dem Fohlen „Farceur“ machte, war dem jungen Pferdeliebhaber fehlendes Geld gleichgültig. Das Pferd kam in die Pfalz. Wir treffen Böhrer und „Farceur“ in einem Weingut in Weisenheim am Sand (Landkreis Bad Dürkheim). Während des Vorgesprächs mit Weingutsbesitzer Rainer Gehrig und Pferdenarr Böhrer steht auf dem Tisch eine Flasche Riesling, dessen Etikett das Pferd bei der Arbeit im Weinberg zeigt. Der Name des Weines: „Gehrig – Riesling EIN PS“. Der vierbeinige Namensgeber „Farceur“ wartet derweil geduldig im Transportanhänger.

Weinflaschen
Das Etikett des Rieslings zeigt das Pferd bei der Arbeit im Weinberg. Foto: Norman Krauß

Die Technik der 1960er-Jahre

Wo die Trauben für diesen Wein wachsen und was „Farceur“ damit zu tun hat, sehen wir eine halbe Stunde später. In den Weinbergen angekommen, führt Böhrer sein Pferd routiniert aus dem Anhänger und legt ihm das Geschirr an. Dabei erläutert er, dass die Entwicklung von Ackergerät für die Arbeit mit Pferden in Deutschland praktisch auf dem Stand der 1960er-Jahre stehen geblieben sei. „Der vom Pferd gezogene Pflug, die Egge, Sä- und Dreschmaschine, alles wurde bei uns kaum weiterentwickelt“, betont Böhrer. In den USA hingegen gebe es diesbezüglich gute und neue Geräte, die oft von den Amish People konstruiert würden, da sie motorgetriebene Technik ablehnen. „Farceur“ scheint seinen Job zu kennen und zu können. Er lässt sich in aller Ruhe einspannen und zur ersten Reihe führen, wo die Arbeit mit der Kreiselegge beginnt.

Bodenschutz auf Hufen

Seine Herkunft hat das gutmütige Tier wohl nicht vergessen. Die Kommandos für „Auf geht’s!“ oder „Rechts!“ erfolgen auf Französisch. Nur das „Zurück!“ akzeptiert „Farceur“ auf Deutsch. Rainer Gehrig ist froh über die Unterstützung von Philipp Böhrer und dessen Pferd. „Wir machen das hier nicht aus Liebhaberei, sondern aus Überzeugung. Und wenn man sieht, wie anstrengend diese Arbeit für Mensch und Tier ist, versteht man, dass unsere Altvorderen nicht so große Flächen in den Weinbergen bewirtschaften konnten“, sagt der Winzer. Warum ein Pferd hier besser arbeitet als eine Maschine, erklärt er so: „Wir hatten in diesem Wingert eine starke Bodenverdichtung. Die Blätter an den Rebstöcken waren schon kraftlos gelb. Schwere Maschinen hatten beim erforderlichen Aufreißen des Bodens die Pflugschar tiefer und unkontrollierter geführt als ein Pferd.“ So seien viele Wurzeln beschädigt oder durchtrennt worden, was bei der Arbeit mit dem Pferd vermieden werden kann. Schon ein Jahr nach dem Einsatz des Pferdes habe der Boden wieder seine Qualität gefunden. Böhrer ergänzt, dass ein Ardenner etwa 800 bis 850 Kilogramm wiegt. Die meisten Schlepper hingegen würden mit rund zwei Tonnen Gewicht über den Boden fahren.

Pferde gehören zum Leben

Mit dem Zusatz „Rosswingert“ kennzeichnen Herbert Heußler und sein Sohn Christian aus Rhodt unter Rietburg (Landkreis Südliche Weinstraße) ihre Premiumweine. Der Grund dafür steht bei ihnen im Stall. Rosswingert-Weine kommen bei Heußlers aus Weinbergen, die mit dem Pferd bearbeitet werden. Derzeit sind es 1,5 von rund 20 Hektar Fläche. Seit der 1948 geborene Herbert Heußler denken kann, gehören Pferde zu seinem Leben. Ein Foto im Familienalbum zeigt ihn als Kleinkind auf einem Pferd. Wobei das Gespann damals aus Pferd und Ochse bestand. Es gab in der frühen Nachkriegszeit für die Landwirtschaft nicht genügend Pferde, weil die Nazis im Zweiten Weltkrieg mehr als 1,6 Millionen Tiere „verheizt“ hatten.

Herbert Heußler
Pferd im Weinberg
Herbert Heußler

Das „wirtschaftliche Aber“

Als Herbert Heußler 1973 das Weingut von seinem Vater übernahm, fuhren überall in Rhodt schon Traktoren. Jetzt brauchte man keine Pferde mehr, auch nicht im elterlichen Weingut. Heußler ging jedoch einen anderen Weg: „Ich holte mir gleich mein erstes eigenes Pferd und wollte zumindest einen Teil unserer Weinberge damit bearbeiten. Dies ist bis heute so geblieben.“ Den Grund dafür erklärt er so: „Mit dem Pferd vorm Pflug wird der Boden locker, gut belüftet und lebendig. Tonnenschwere Schlepper dagegen verdichten den Boden und machen ihn hart wie Beton.“ In einer Bachelor-Arbeit, die eine Studentin in seinem Betrieb verfasste, wurden Weinbergsflächen gegenübergestellt, die mit dem Pferd beziehungsweise dem Schlepper bearbeitet wurden. Bei der „Pferde-Fläche“ entwickelte sich alles etwas früher und üppiger. Außerdem konnten stärkere Regenfälle hier in den Boden eindringen, während das Wasser in den durch Maschinen verdichteten Flächen darüber hinweg floss. Diesen Vorteilen entgegen steht das große „wirtschaftliche Aber“: Was ein Mann mit Pferd an einem Tag pflügt, schafft ein Traktor in 30 Minuten. Deshalb ist auch für Heußler nachvollziehbar, dass die Arbeit mit dem Pferd im Weinberg eine Nische bleiben wird.

Symbiose von Pferd und Mensch

Ein weiterer Aspekt: Bei der Maschine dreht man den Schlüssel um, dann ist Feierabend. Sein Süddeutsches Kaltblut „Max“ muss Heußler aber morgens striegeln, füttern und anschirren. Die Arbeit im Stall macht sich auch nicht von allein. Und abends, bevor der Winzer ins Bett geht, schaut er auch noch mal beim Pferd vorbei. Heußlers zufriedener Kommentar: „Na und? Mir macht es nichts aus, dass die Arbeit mit dem Pferd abends länger dauert und morgens früher beginnt. Mein Gaul und ich, wir schaffen zusammen. Und wenn wir nicht mehr können und müde sind, dann fahren wir heim.“ Um viel zu sagen, bedarf es in der Pfalz manchmal nur weniger Worte. Mit Wehmut spricht Heußler über sein Pferd „Rico“, das im Alter von 17 Jahren eine Kolik nicht überlebte: „Wenn ich mit ,Rico‘ gezackert habe, ging das sogar ohne Zügel. Er wusste genau, was zu tun ist und drehte am Ende einer Reihe in die nächste um. Oft ging das wortlos.“

Alte Aufnahme von Herbert Heußler.
WEGGEFÄHRTEN Seit Herbert Heußler denken kann, gehören Pferde zu seinem Leben. Dieses Foto zeigt ihn als Kind auf dem Pferd sitzend, das zusammen mit einem Ochsen ein Gespann zieht. Foto: Familie Heußler/Privat

Der Vorteil der „Rückepferde“

Die Bezeichnung „Rückepferd“ ist nahezu selbsterklärend: Wenn es im Wald darum geht, gefällte Baumstämme zum nächsten Waldweg zu bringen, wo sie zum Abtransport gesammelt werden, werden Pferde gebraucht. Durch die Mechanisierung der Forstwirtschaft sind Rückepferde fast überflüssig geworden. Selbst dort, wo Waldstücke für Maschinen schwer zugänglich sind, kommt heute Spezialgerät zum Einsatz. Doch aktuell bekommen Rückepferde als ökologisch sinnvolle Ergänzung bei der Forstarbeit wieder mehr Bedeutung. Denn Maschineneinsatz im Wald braucht etwa alle 20 Meter eine befahrbare Schneise. Der Boden wird dort stark verdichtet und so bei Starkregen zur „Wasserstraße“. Außerdem können Schätzungen zufolge durch Rückegassen bis zu 20 Prozent der Holzproduktionsflächen verloren gehen.

Sicherheit für Holzrücker gefragt

Würde die Mehrheit der Förster in Deutschland jeweils etwa 1000 Festmeter Holz von Pferden rücken lassen, würden sich nach Ansicht von Experten verschiedene Vorteile erzielen lassen: Die Abstände der Rückegassen würden größer, entsprechend mehr Fläche könnte bepflanzt werden. Pferde könnten auch bei nassen und tiefen Böden im Wald arbeiten. Der Verbrauch fossiler Brennstoffe und klimaschädlicher Emissionen würde sich wie die Bodenverschmutzung durch Kraftstoffe und Hydrauliköle reduzieren lassen. Nicht zuletzt führten dann Erlöse durch sichere Einsätze dazu, dass Holzrücker leichter in die Arbeit mit Pferden investieren könnten. Schließlich muss man für ein Pferd vom Züchter mit einem Kaufpreis von rund 7000 Euro rechnen. Dazu kommen Arbeitsgeschirr und Rückekette für zusammen etwa weitere 3000 Euro.

Schritt für Schritt zum Waldeinsatz

Ernst Winkmann aus Blieskastel (Saarpfalz-Kreis) leitet einen der wenigen Forstbetriebe, die professionell mit Rückepferden im Wald arbeiten. Der heute 62-Jährige stammt aus dem Rheinland und wuchs dort in einem Landwirtschaftsbetrieb auf. Er ist von klein auf mit Pferden vertraut, suchte 2011 die Selbstständigkeit und kam als Holzrücker nach Blieskastel. Einige Forststellen in der Region hatten ihm auf Anfrage entsprechende Aufträge erteilt. Seine zwei Pferde, ein belgisches Kaltblut und einen französischen Ardenner, gewöhnte er Schritt für Schritt an die Arbeit im Wald. „Wenn Pferde zu mir kommen, kennen sie Geschirre und das Ziehen von Wagen und Kutschen. Ich fange dann an, mit ihnen stundenweise im Wald spazieren zu gehen, um sie an das Milieu zu gewöhnen. Sie erleben dabei auch unebene Böden, Totholz und andere Hindernisse“, erläutert Winkmann. Danach beginne er damit, ihnen eine Last anzuhängen und sie an Kommandos zu gewöhnen.

Gut planbare Saisonarbeit

„Bei der Ausbildung wie bei der Arbeit braucht man ein gutes Gespür dafür, die Leistungsgrenzen eines Pferdes zu erkennen. Ich muss merken, wann es den Tieren zu viel wird, wann sie nervös werden. Dann nehmen sie keine Kommandos mehr wahr und reagieren falsch“, betont Winkmann. Um ausreichend Aufträge muss man sich in diesem Familienbetrieb nicht sorgen. Für die Saison zum Holzrücken, sie dauert von August bis Ende März, fragen die Forstämter der Umgebung mit ausreichendem zeitlichem Vorlauf an. So werden die Arbeiten für den Betrieb gut planbar. Dennoch sieht Winkmann im Holzrücken mit dem Pferd keinen Beruf mit Perspektive: „Die Mengen reichen für eine Professionalisierung einfach nicht aus.“

Strafender Blick von „Odin“

An einem sonnigen Samstagvormittag erleben wir am Ortsrand von Heuchelheim-Klingen (Landkreis Südliche Weinstraße) nicht nur ein großes Treffen stolzer Bulldog-Veteranen, sondern auch Inge und Stefan Schmeltekopf. Sie demonstrieren dort mit ihrem Pfalz-Ardenner „Odin“ das Holzrücken. „Lui“, das zweite Pferd der Schmeltekopfs, ist zuhause in Rohrbach bei Landau geblieben. Stefan Schmeltekopf verdeutlicht mit einer Geschichte, wie eng die Verbindung zu Pferden ist. Als er vor ein paar Jahren von einer vierwöchigen Kur zurückgekommen sei, habe er seinen „Odin vom Lindenhof“ mit einer Tasche voller Äpfel begrüßen wollen. Das Pferd, mit dem er durch Jahre der Zusammenarbeit sehr vertraut war, sei jedoch achtlos an ihm vorbeigelaufen. Dort, wo Odin während der vorangegangenen vier Wochen eingestellt war, berichtete man Schmeltekopf, dass das Pferd in der ersten Woche unzugänglich war, in der zweiten Woche trauerte und in den restlichen Wochen jede Ansprache ignorierte. Die Missachtung des Pferdes gegenüber dem Kur-Rückkehrer dauerte volle drei Tage. Erst dann kam „Odin“ wieder auf Schmeltekopf zu – mit einem Blick, der „Mach das nicht noch einmal, Alter“ zu sagen schien.

Der mit dem Pferd „spricht“

Der Rohrbacher Pferdeflüsterer weiß die Sprache seines Pferdes zu verstehen. „Odin fragt mich zum Beispiel mit klaren Gesten, ob wir bei der Zugarbeit Pause machen können. Dazu dreht er sich zunächst einmal mit dem Kopf zu mir um. Und dann in kurzem Abstand noch einmal“, erzählt Schmeltekopf. Ein guter Fuhrmann lerne schnell, wie und was ein Pferd „spricht“. Das sei vor allem dann wichtig, wenn ein Pferd ein Kommando ablehne. „Man sollte es nicht dulden, dass es einen Befehl verweigert, wohl aber tolerieren, wenn es signalisiert, einen Befehl nicht durchführen zu können“, betont Schmeltekopf. Er ist mit seinen Pferden regelmäßig in einem eigenen Wald zum Holzrücken unterwegs. Auch bei Projekten des Naturschutzbundes Südpfalz kommen „Odin“ und „Lui“ zum Einsatz, etwa beim Räumen von Schnittgut und Totholz auf Streuobstwiesen und Auen.

Stefan Schmeltekopf mit "Odin"
PFERDEFLÜSTERER Stefan Schmeltekopf hat eine enge Verbindung zu Tieren, ganz besonders zum Pfalz-Ardenner „Odin“. Foto: Norman Krauß

Trittsicherheit nicht nur im Parcours

Bei der Präsentation in Heuchelheim-Klingen zeigt das Pferd, als sein Halter mit laufender Kettensäge unter ihm hindurchkriecht, eine stoische Ruhe. Beim Gang durch einen Parcours stellt es seine Trittsicherheit unter Beweis. Die ist bei der Arbeit im Wald auch gefordert, denn dort muss das Pferd beim Holzrücken ständig Bodenlöchern, Baumstümpfen, Wurzeln und Gestein ausweichen. Aufmerksamkeit und Umsicht eines Pferdes sind deshalb wichtig. „Es ist schon passiert, dass ich hinten bei Zuglast gestolpert und umgefallen bin. ,Odin‘ hat das registriert und ist sofort stehen geblieben“, freut sich Schmeltekopf, der sein Pferd für seine Zugwilligkeit lobt. „Er hängt sich mit seinen 800 Kilo zumeist voll ins Geschirr und zieht wie ein Ochse. Wobei ich darauf achte, das Pferd nicht zu überlasten. Die Zugleistung eines Kaltblüters sollte maximal das Anderthalbfache seines Körpergewichts betragen“, betont er. Inge und Stefan Schmeltekopf wünschen sich: „Bei derzeit weniger als 20 hauptberuflich tätigen Rückebetrieben in ganz Deutschland und angesichts der vielen guten Argumente für solche Betriebe, wäre ein verstärkter Einsatz von Pferden bei Wald- und Landschaftsarbeiten sehr sinnvoll.“

Von Pfalz-Ardennern begeistert

Zur Erfüllung dieses Wunsches liefert Holger Bossong aus Schneckenhausen (Landkreis Kaiserslautern) mit seinem Zuchtbetrieb die notwendige „Hardware“. Zunächst waren es Warmblüter, die er züchtete. Seit mehr als 20 Jahren sind es Kaltblüter. Der Grund für diesen Wechsel: „Ich habe gemerkt, dass mir etwas ruhigere und robustere Pferde mehr entsprechen. Auch wegen ihres Gemüts und ihrer Vielseitigkeit.“ Derzeit hat er fünf Pfalz-Ardenner im Stall. Bisweilen kommen sie beim privaten Holzrücken zum Einsatz, im Herbst auch zum Pflügen. Bei Ausflugswetter spannen Sylvia und Holger Bossong die Pferde vom Gorrhof für Spazierfahrten vor die Kutsche. Als Sylvias Bossongs Reitpferd einmal krank war und ein Ausritt in Richtung Dahn anstand, setzte sie sich einfach auf den Rücken eines „Dicken“. Sie schwärmt noch heute davon und lobt die Vielseitigkeit der Pfalz-Ardenner: „Diese Rasse ist sehr umgänglich und nicht so schwer wie die Ardenner aus Frankreich. Diese Pferde haben einen sehr guten Raumgriff und einen freundlichen Charakter. Einfach wunderbar!“ Holger Bossong schätzt die Rasse auch wegen ihrer Robustheit. Es gehört zu seiner Zuchterfahrung, dass die Pfalz-Ardenner außer beim Impfen so gut wie keinen Tierarzt sehen. Für ihn hat das Zugpferd dann wieder eine Chance auf verstärkten Einsatz, wenn „Pferd und Maschine vernünftig kombiniert werden. Außerdem müsste die Politik das gewachsene Verlangen der Menschen nach Langsamkeit, Ruhe und Umweltschutz stärker aufgreifen. Zugpferde bieten dazu einige gute Möglichkeiten“.

Spazierfahrten mit der Kutsche

Pferdearbeit in Wingert und Wald wird in der Pfalz von wenigen Enthusiasten gepflegt. Populärer sind Kutschen- und Planwagenfahrten mit Pferden. Manchmal sind es Familienbetriebe, die schon Jahrzehnte durch die Landschaft fahren, manchmal junge Halter, wie Philipp Böhrer, der mit seinem Pferd nicht nur im Weinberg arbeitet. Paul Gumbinger zum Beispiel sitzt seit fast 40 Jahren „auf dem Bock“. Seit 1988 startet er zu Planwagenfahrten in der Umgebung von Erpolzheim (Landkreis Bad Dürkheim). Ein Pferde-Enthusiast ist er seit mehr als 50 Jahren: „Mein Großvater war schon mit Pferden zugange. Sie gehörten immer zu meinem Leben. Ich habe mit den Pferden zunächst Holz gerückt, was aber sehr unrentabel war. So kam ich auf das Planwagenfahren, das sich gut entwickelt hat. Ich brauche dafür kaum Werbung und habe inzwischen mehr Anfragen als freie Termine.“

Ausbildung für Pferd und Kutscher

Mit „Fritz“, „Schorsch“, „Dom“ und „Iwan“ hat Gumbinger derzeit vier Wallache der Rasse Süddeutsches Kaltblut im Stall. „Wallache, also kastrierte Hengste, sind einfacher zu erziehen und zu lenken. Hengste wären mir vor der Kutsche zu stark und eigenwillig, Damen kommen öfter in Wallung, was im Fahrbetrieb viel Unruhe bedeuten kann“, so Gumbinger. Er erklärt auch, was man als Pferd und als Kutscher lernen und können muss: „Als meine Pferde jung waren, habe ich ihnen einen ganzen Winter lang täglich eine halbe Stunde die nötigen Begriffe beigebracht: ‚Lauf!‘, ‚Stopp!‘, ‚Links!‘, ‚Rechts!‘, ‚Huf geben!‘ Ich selbst habe den Kutschenführerschein B für gewerbliche Fahrer, der umfangreiche Fahr- und Sicherheitskenntnisse erfordert.“ In die Zukunft blickt Paul Gumbinger ohne Sorgen: „Mein Sohn Frederik wird das Kutschenfahren fortführen. Und dann sind da noch einige Enkelkinder, von denen vielleicht auch einmal eines Gefallen daran findet.“

Frederik Gumbinger fährt mit dem Planwagen
FREIZEITSPASS Frederik Gumbinger tritt als Planwagenfahrer in die Fußstapfen seines Vaters Paul. Foto: Privat/Elisabeth Gumbinger

Der „Landauer“ aus Hochstadt

Die Edellimousinen der Autobauer von heute hatten im 18. und 19. Jahrhundert in vielen europäischen Ländern mit dem „Landauer“ einen Vorgänger als „beliebtester Reisewagen und Statussymbol der begüterten Kreise“. Ob das vornehme viersitzige Gefährt mit seinem Namen wirklich auf die Stadt Landau zurückgeht, ist nicht gesichert. Sicher hingegen ist es, dass es noch heute viele Brautpaare in der Südpfalz genießen, in einem „Landauer“ von der Kirche zu einer Ausfahrt abgeholt zu werden. Dieses nostalgische Erlebnis ermöglicht seit zehn Jahren Suse Hörner aus Hochstadt (Landkreis Südliche Weinstraße) mit ihren Stuten „Yske“ und „Fera“ vor der Kutsche. Die beiden majestätischen Niederländerinnen bilden das passende Gespann vor dem noblen Gefährt, das Hörner bei der Auflösung einer Kutschensammlung erwarb und für Ausfahrten restaurieren ließ. „Mit funkelnden Augen und einem ‚Oh je, is des schä!‘ kommentierte ein Winzer die Geburtstagsausfahrt, die er zu seinem 90. Geburtstag geschenkt bekommen hatte“, erinnert sich Hörner. Und ein Hochzeitspaar, das sie von der Kirche abholten und eine Stunde durch Wiesen und Wälder fuhren, habe nach der Hochzeit erklärt: „Dies ist die ‚schönste Stunde des ganzen Hochzeitstages‘ gewesen.“ Einen ganz entscheidenden Anteil daran hatten die „sanften Riesen“ – vierbeinige Helfer, die an vielen Orten in der Pfalz weiterhin fester Bestandteil des Lebens sind.

Suse Hörner bei der Fahrt mit dem "Landauer"
NOBELKAROSSE Den „Landauer“ erwarb Suse Hörner bei der Auflösung einer Kutschensammlung. Foto: Norman Krauß

Interessengemeinschaft Zugpferde

Pferdezuchtverband Rheinland-Pfalz-Saar

Weingut Gehrig

Weingut Heußler

Forstbetrieb Winkmann

Stefan Schmeltekopf

Land- und Forstbetrieb Bossong


Kutschfahrten
Böhrer | Weisenheim/Sand, Fahrten für bis zu 8 Personen in Weisenheim und Umgebung, Telefon 01575 1588947, philipp.boehrer@web.de


Planwagenfahrten
Gumbinger | Erpolzheim, Telefon 06353 8975 (vorzugsweise ab 18 Uhr)
„Landauer“-Kutschenfahrten
Hörner | Hochstadt, Ansprechpartnerin Suse Hörner, Telefon 0151 28702454, suse.hoerner@hainbachhof.de

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Pfälzer Pferdestärken

Die Pfalz-Ardenner

Pfalz-Ardenner kommen aus dem Zuchtgebiet Rheinland-Pfalz-Saar und werden seit Beginn des 20. Jahrhunderts gezüchtet. Die Tiere zeichnen sich durch ein hohes Maß an Beweglichkeit aus.

Stefan Schmeltekopf mit "Odin" beim Holzrücken
STARKE HELFER Bei der Arbeit im Wald müssen die Pfalz-Ardenner Trittsicherheit beweisen. Foto: Norman Krauß

Wenn Pferde als Zug- oder Arbeitspferde eingesetzt werden, dann am häufigsten die starken Kaltblüter. In den Ardennen, einem Gebirge, das sich über Frankreich, Luxemburg und Belgien erstreckt, ist die Kaltblutrasse der Ardenner zuhause. Der Ardenner ist auch eine Stammrasse für andere Rassen. So zum Beispiel für den Pfalz-Ardenner als etwas leichterem Kaltblüter mit gehobener Gangqualität. Pfalz-Ardenner kommen aus dem Zuchtgebiet Rheinland-Pfalz-Saar und werden seit Beginn des 20. Jahrhunderts gezüchtet. Entstanden ist die Rasse aus Importen aus dem Elsass und aus Lothringen, auch ein kleiner Anteil aus Bayern ist dabei.

Tiere sind heute gefährdet

Zwischen 1946 und 1959 standen in Zweibrücken zwischen 12 und 15 Pfalz-Ardenner-Hengste, die anfangs noch mehr als 1000 Stuten deckten. Aber bereits 1958 waren nur noch 158 Stuten beim Verband eingetragen. Die Motorisierungwelle rollte und 1971 verließ der letzte Kaltbluthengst das Landgestüt Zweibrücken. Heute sind die Tiere aufgrund der kleinen Populationsgröße gefährdet, da sie in ihrer üblichen Tätigkeit als Arbeitspferd entbehrlich wurden. Das Stockmaß der Pferde liegt zwischen 1,52 und 1,62 Metern. „Der flotte Kaltblüter, wie ich ihn gern nenne, ist nicht besonders groß und zeichnet sich durch ein hohes Maß an Beweglichkeit aus,“ so der Pfalz-Ardenner-Experte Hans-Willy Kusserow.

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