Veranstaltungs­tipps

Tipps für Genuss-Events in der Pfalz: Das VielPfalz-Team recherchiert für Sie empfehlenswerte Veranstaltungen in der Pfalz, die vielfältigen Genuss versprechen – von der Weinprobe über die Städteführung bis zum Fest, Markt oder Konzert. Welches Event Sie auch immer anspricht, wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!

Geheimnisvolle Pfalz

Zwischen den Welten

Noch vor 200 Jahren war der pfälzische Alltag geprägt von Geschichten über dunkle Gestalten, magische Wesen, geheimnisvolle Mythen und Rituale, Glaube und Aberglaube. Einiges davon, wie der Belzenickel und die Elwedritsche, hat bis heute überdauert. Auf einer Reise, die uns mehrere tausend Jahre zurück in die Vergangenheit und auch über den Atlantik führt, versuchen wir, Licht ins Dunkel der Zeit zu bringen.

Foto: Volker Schledorn

Es ist kalt in Ramsen. Der Eiswoog liegt ruhig im Morgennebel. Nur die Bewegungen der kleinen Fische erzeugen Wellen, die langsam ans Ufer schwappen. Kein Vogel durchbricht mit seinem Gesang die Stille … Für unsere Vorfahren waren Seen, Teiche und Weiher magische Orte. Die Wasseroberfläche galt als Grenze zwischen der sinnlich erfahrbaren Welt und dem Reich des Übersinnlichen. Hier lauerten gefährliche Nixen und Wassermänner. Spiegel galten ebenso wie Spiegelungen als Tore in unheimliche Welten. „Wammer nachts in der Schpiggel guckt, guckt der Deifel raus“, sagt ein Sprichwort. Für die Menschen existierten damals sinnliche und übersinnliche Welt nebeneinander. Manchmal auch miteinander, denn sie konnten sich zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten vermischen. Dann konnte es gefährlich werden und die Menschen taten alles, um beide Welten wieder zu trennen und sich zu schützen.

MYSTERIÖS Schon immer haben Menschen versucht, Geistern ein Gesicht zu geben. Hier eine Skulptur am Waldgeisterpfad in Oberotterbach. Foto: Norman Krauß

Den Geheimnissen auf der Spur

Gehen wir also gemeinsam auf eine Reise. Wir werden herausfinden, was hinter dem „Bucklich Männlein“ steckt und dem „Butzemann“ – zwei Figuren, die uns in Kinderliedern heute noch begegnen. Wir besuchen die „Gleene Leit“ in den Ecken unserer Gärten und begeben uns auf die Spur des „Waldmopses“. Sie haben richtig gelesen: Der bekannte Sketch des Komikers Loriot aus den 1970er-Jahren hat eine Geschichte, die uns viele tausend Jahre in der Zeit zurückführt. Wir werden über Pentagramme und Hexagramme stolpern und lernen die für unsere Vorfahren wichtige „weiße Magie“ kennen, die in der Pfalz „Braucherei“ genannt wurde. In diesem Kontext klären wir – hoffentlich abschließend – die Frage, was Elwedritsche wirklich sind. Wir nähern uns nur vorsichtig der „Wilden Jagd“. Wir haben einiges vor. Kommen Sie mit!

Michael Werner. Foto: privat

Der Autor

Dr. Michael Werner, Sprachwissenschaftler und Publizist, ist seit mehr als 25 Jahren Herausgeber der pfälzisch-pennsylvanischen Zeitung „Hiwwe wie Driwwe“ und heute der Experte, wenn es um die Sprach- und Kulturbeziehungen zwischen diesen Regionen geht. Seine publizistische und wissenschaftliche Arbeit war Grundlage und Inspiration für die Kinodokumentation „Hiwwe wie Driwwe – Pfälzisch in Amerika“.

Wilde Nächte

Übergangsorte zwischen sinnlicher und übersinnlicher Welt gab es für unsere Vorfahren viele, zum Beispiel auch Brunnen. Denken wir an Goldmarie, die durch einen Brunnen hindurch zu Frau Holle gelangt. Es gab zudem besondere Zeiten, an denen die Tür direkt zur Hölle einen Spalt offenstand, wie zum Beispiel in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November. Die Kelten feierten – auch in der Pfalz – in dieser Nacht Samhain, das Fest der Toten, auf das wahrscheinlich das heutige Halloween zurückzuführen ist. Oder liegt der Ursprung doch woanders? Für die Germanen etwa war dieser Tag der Beginn des Winterhalbjahres und der dunklen, düsteren Periode. Ab dieser Nacht war auch die „Wilde Jagd“ unterwegs, die „arme Seelen“ aufspürte, die nicht freiwillig ins Jenseits gingen, und nach Menschen suchte, die das Gebot nicht einhielten, nachts im Haus zu bleiben. In Sturmnächten konnte man demnach hören, wie Wodan, dessen Sohn Thor und Frau Perchta mit Perchtas Haustier Habergeis und vielen anderen mit dem Wind über den Himmel zogen.

„Bees muss Bees verdreiwe“

Man vernahm Hundegebell, Pferdewiehern und Schlachtrufe von wilden Kriegern. Manchmal konnte es vorkommen, dass die Wilde Jagd und die toten Seelen, die dazu verdammt wurden, im Tross mitzuziehen, auch an Haustüren klopften. Um sich zu schützen, wurden mancherorts ausgehöhlte Rüben mit Gesicht und Kerzen als Rübengeister ins Fenster oder vor die Tür gestellt. „Wir kennen euch“, lautete die Botschaft an das Böse bei diesem Ritual. „Ihr könnt diesem Haus nichts anhaben.“ Dann zog die „Wilde Jagd“ vorbei mit dem Ruf: „Wir sind die Rübengeister, es schickt uns unser Meister!“ Noch heute ist der Brauch der Rummelbooze vor allem in der Nordpfalz bekannt. „Rummel“ steht für Rüben und „Booze“ für Verkleidung.

Zwischen den Jahren

Die Hochzeit der „Wilden Jagd“ war in den sogenannten Raunächten, die grob zwischen der Wintersommerwende am 21. Dezember und dem 6. Januar verortet wurden. In dieser Zeit blieb man besser zu Hause, denn sonst konnte es vorkommen, in einer kalten Winternacht von der „Wilden Jagd“ in die Luft gezogen und mitgerissen zu werden. Aus diesem Grund hält sich bis heute der Aberglaube, dass man zwischen den Jahren besser keine Wäsche waschen soll. Denn in einer Wäscheleine im Garten oder Hof könnte sich die „Wilde Jagd“ verfangen. Die Folgen für die Hausbewohner wären schrecklich. Gut, dass Wäsche im Winter heutzutage meist im Haus getrocknet wird.

BUCKLICH MAENNLEIN Hier die bildliche Interpretation von Künstler Gerd Kornmann.
Der Schutzdämon hatte seinen Rückzugsort zum Beispiel in nicht aufgeräumten Küchenecken. Zeichnung: Gerd Kornmann/Repro: Norman Krauß

Ursprung des Belzenickels?

Als Abgesandter der „Wilden Jagd“ kann der pfälzische Belzenickel gelten. Hat er doch Attribute vieler Gestalten, die im Tross mitziehen: Von Wodan die dämonischen Hörner, vom Wettergott Thor Ketten und Rasseln statt Blitz und Donner, von der Kinder raubenden Habergeis den Sack. Die Gaben für die Kinder stammen von Wodans Frau Perchta, die in unserer Region „Holle“ genannt wird. In manchen Gegenden Deutschlands galt sie lange Zeit an Weihnachten als Gabenbringerin und damit als Weihnachtsfrau.

Entstehung von Götterwelten

Von den besinnlichen Weihnachtsfeiertagen abgesehen, war die dunkle Jahreszeit aus Sicht unserer Vorfahren also aus verschiedenen Gründen besonders gefährlich. Aber auch zu anderen Jahreszeiten war das Überleben ständig bedroht, zum Beispiel durch missglückte Jagden oder Ernteausfälle. Auch hierfür entwickelten die Menschen Bräuche, die sie vor diesem Unglück bewahren sollten. Während die Ursprünge der bisher vorgestellten kulturellen Muster im ersten Jahrtausend vor Christus liegen dürften, gehen wir nun in der Zeit deutlich weiter zurück, und zwar zu den Jäger- und Sammlergesellschaften, die durch Europa streiften. Ab etwa 8000 vor Christus veränderte sich die schon davor vorhandene Religiosität. Es entstanden einfache, dann immer komplexere Götterwelten, die auch zeichnerisch oder als Skulpturen dargestellt wurden. Es spricht einiges dafür, dass ein Herr oder eine Herrin der Tiere – wie noch vor Kurzem bei nahezu allen Jägervölkern als Beschützer der Tierwelt und Machthaber über das Wohl und Wehe der Jäger – als erste gottähnliche Idee existierte. Manche aufrechtstehende Hirschfigur mit mächtigem Geweih, die unsere Vorfahren an Höhlenwände gemalt haben, werden bisweilen als „Herr der Tiere“ gedeutet.

Blick nach „driwwe“

WALDMOPS Hier die bildliche Interpretation von Künstler Gerd Kornmann. Der Schutzdämon hatte seinen Rückzugsort im Wald. Zeichnung: Gerd Kornmann/Repro: Norman Krauß

Und jetzt lohnt erstmals der Blick von „hiwwe“ nach „driwwe“ zu den Pennsylvania-Deutschen. Die Nachfahren von pfälzischen Auswanderern des 18. Jahrhunderts haben kulturelle Muster viel besser bewahrt als wir hier im Südwesten Deutschlands. Hauptgründe sind sicherlich die zahlreichen Kriege, die hierzulande gefochten werden mussten, die Mischung der Bevölkerung durch Migration und die fortschreitende Industrialisierung. All das gab es bei den Pennsylvania-Deutschen bis weit ins 20. Jahrhundert nicht. Die Nachfahren der Auswanderer waren überwiegend Bauern und lebten oft noch auf dem Flecken Erde, den der ursprüngliche Einwanderer von William Penn oder dessen Söhnen gekauft hatte. Die „deitsch Mudderschprooch“, die dem Pfälzischen rund um Mannheim und Frankenthal am ähnlichsten ist, sowie Rituale im Jahreslauf halfen, sich von den um sie herum siedelnden Engländern, Iren oder Schotten abzugrenzen.

Kekse für den Waldmops

Daher gibt es dort weiterhin den Brauch, an Maria Lichtmess, dem „Groundhog Day“ genannten 2. Februar, eigens dafür gebackene „Antler Cookies“ (Kekse in Hirschgeweihform) in den Wald zu tragen und dort durch Ablegen dem „Waldmops“ (oder „Buschmops“) zu opfern. Der Begriff „Mops“ könnte auf das althochdeutsche Wort „Mup“ zurückgehen, das „Fratzen schneiden“ bedeutet. Man erhofft sich jedenfalls durch dieses Opfer Glück bei den Jagden des Jahres sowie Fruchtbarkeit des Bodens. Die Nachfahren der kurpfälzischen Auswanderer wissen noch, was sich gehört: Entnehme ich dem Wald etwas, zum Beispiel ein getötetes Tier, muss ich im Gegenzug etwas in den Wald hineingeben. Damit der „Herr der Tiere“ alias „Waldmops“ den Menschen gewogen und alles im Gleichgewicht bleibt.

Foto: Norman Krauß

Sie haben dicke rote Nasen. Sie schauen mit großen Augen aus Baumstümpfen heraus. Sie sperren die Ohren auf und lauschen. Beiderseits des Waldgeisterweges halten skurrile Figuren des Hobbyschnitzers Volker Dahl Wacht. Start- und Endpunkt ist der Parkplatz am Schützenhaus bei Oberotterbach (Landkreis Südliche Weinstraße). Hier kann man seiner Fantasie bei einem Spaziergang (rund vier Kilometer hin und zurück) freien Lauf lassen. Der Weg längs des Otterbaches ist für Kinderwagen gut geeignet. Auch aus Holz geschnitzte Tiere, wie Eichhörnchen, Eule oder ein Greifvogel, sind am Wegesrand zu entdecken. [dot]

Info: suedlicheweinstrasse.de/touren

Milch für die Hausgottheit

ECKLEIT / GLEENE LEIT Hier die bildliche Interpretation von Künstler Gerd Kornmann.
Die Schutzdämonen hatten ihren Rückzugsort in naturbelassenen Ecken des Gartens. Zeichnung: Gerd Kornmann/Repro: Norman Krauß

Das Prinzip „Opfer für Jagdglück“ bewährte sich offensichtlich, sodass es nach der Sesshaftwerdung der Menschen in unserer Region etwa ab 6000 vor Christus auch auf die neuen Lebensbereiche übertragen wurde. Im Haus opferte man täglich einer Hausgottheit beispielsweise eine Schale mit Milch, damit die Gottheit über die Familie wachte. Ein Gedanke dabei war, dass der ursprüngliche Erbauer des Gebäudes auch nach dessen Tod weiterwirkte und um Schutz und Hilfe gebeten werden konnte. Wer Astrid Lindgrens „Tomte Tummetot“ kennt, kommt dieser Figur recht nah. Im Deutschen ist sie als „Bucklich Männlein“ im Kinderlied erhalten, und in Pennsylvania singt man noch heute: „Will ich in mein Gaarde geh, will mei Zwiwwele blanze, kummt des bucklich Maennli un fangt glei aa zu danze …“. Praktisch war das „Bucklich Männlein“ in vergangener Zeit auch für den Bauern, weil er Knechten und Mägden sagen konnte: „Mir gehne fort, awwer es bucklich Männlein iss do un guckt, dass ihr ebbes schaffen!“ Das „Bucklich Männlein“ wohnte in einem Bereich des Hauses, der absichtlich nicht aufgeräumt wurde. Dort gab man ihm einen Platz.

Gartenecke für „Gleene Leit“

Im Garten erbittet man in Pennsylvania noch heute die Unterstützung von Elfen und Kobolden. Am „Grumbeere Daag“ am 17. März unternimmt die Bauersfamilie eine Prozession, während der man um ein fruchtbares Gartenjahr bittet. Sie umschreitet das Gartengrundstück längs der Grenze und hinterlässt an jeder Ecke Opfergaben für die „Gleene Leit“, auch „Eckleit“ genannt. Denn dort in den Ecken des Gartens, wo bewusst nichts angebaut wird, leben sie und haben sie ihren Platz in der Nähe der Menschen. In der Pfalz lebt dieses kulturelle Muster in den Gartenzwergen weiter, die unsere Grundstücke bevölkern. Ein ähnliches Ritual gibt es heute noch bei den Sorben in Sachsen und Brandenburg, die im Frühjahr mit Pferden die Begrenzungen ihrer Äcker „umreiten“.

BUTZEMANN Hier die bildliche Interpretation von Künstler Gerd Kornmann. Der Schutzdämon hatte seinen Rückzugsort in nicht abgeernteten Feldecken. In Gartenzwergen lebt das Muster der „Gleene Leit“ bis heute weiter. Zeichnung: Gerd Kornmann/Repro: Norman Krauß

Früchte für die Vegetationsgottheit

Auf dem Feld schließlich errichtet der Bauer an Maria Lichtmess mit aufgehobenem Stroh der letzten Ernte eine Figur: den Butzemann. Bei der Ernte des Vorjahres war darauf geachtet worden, ein kleines Eck des Feldes nicht abzuernten. Hier überwinterte eine Vegetationsgottheit, die nach Errichtung des Butzemanns in diesen einzieht und ihn „beseelt“. Die Figur darf gerne abschreckend und gruselig aussehen. Denn es ist ein Nebenziel, Kinder wie Fremde vom Betreten des Ackers abzuhalten. Das ganze Jahr über erhält der Butzemann Opfergaben und am Tag der Ernte basteln die Kinder, zum Beispiel aus den äußeren Blättern von Maiskolben, kleine Püppchen, die sie in dem Bereich des Feldes platzieren, das in diesem Jahr für die Vegetationsgottheit nicht abgeerntet wird. Anschließend wird der Butzemann verbrannt. Das geschieht spätestens am 31. Oktober und damit am Tag vor der Nacht, in der Rübengeister und Wilde Jagd wieder ihr Unwesen treiben. So schließt sich der Jahreskreis der helfenden und bedrohlichen Gestalten, die in Pennsylvania noch viel mehr als hier in der Pfalz in ihrer ursprünglichen Form im kollektiven Gedächtnis und Brauchtum erhalten geblieben sind.

Pentagramme schützen dauerhaft

Rituale im Jahreslauf halfen, das Böse in Schach zu halten und sorgten so für mehr Sicherheit. Aber man konnte nicht immer und überall Rituale und Opfergaben durchführen. Man musste arbeiten, essen, schlafen. Deshalb kannte das magische Schutzsystem unserer Vorfahren zwei zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen: eine permanente und eine, die nur im Bedarfsfall angewendet wird. Dauerhaften Schutz vor dem Eindringen von Dämonen und Hexen in Gebäude versprach demnach das Anbringen von Pentagrammen oder Hexagrammen in Fenster- und Türrahmen. Gerade Fenster galten früher als Einfalltore für böse Geister. Eine alte Dämonenregel besagt, dass der Geist durch dieselbe Öffnung entfleuchen muss, durch die er hereingekommen war. Das war schon Mephisto in Fausts Studierstube zum Verhängnis geworden. Das Pentagramm zur Straßenseite hatten Mäuse angeknabbert, wodurch er in den Raum eindringen konnte. Der Weg nach draußen war allerdings versperrt, weil die Zacken des Pentagramms auf der Innenseite noch intakt waren. In der Goethe-Zeit war dieser Glaube weit verbreitet. Das ist noch gar nicht so lange her, deshalb finden sich auch in der Pfalz immer noch Schutzsysmbole in Fensterrahmen, über Türen oder am Haus in den oberen Ecken einer Fachwerkkonstruktion. Diese Symbole sind ebenfalls mit nach Pennsylvania ausgewandert. Was bei uns allerdings höchstens 15 Zentimeter im Durchmesser hat, misst auf einer Scheune in Pennsylvania gerne einmal zwei Meter.

SCHÜTZEND Pentagramme oder Hexagramme in Fenster- und Türrahmen sind als Schutz gegen das Eindringen von Hexen und Dämonen gedacht. Foto: Michael Werner

Gemeinsame Wurzeln

Ein kleiner Exkurs: Auffallend ist, dass wir diese Symbole nicht nur überall in Europa und durch die Auswanderer in Amerika finden, sondern sogar im Norden Indiens. Ein Indiz, dass wir es hier mit einer indoeuropäischen Erfindung zu tun haben. Die Heimat dieser ethnolinguistischen Gruppe, die durch gemeinsame sprachliche Merkmale und kulturelle Verbindungen gekennzeichnet ist, wird etwa 6000 v. Chr. im nördlichen Bereich des fruchtbaren Halbmondes (Israel, Syrien, Jordanien, Irak) verortet. Von hier breiteten sich die Indoeuropäer westlich nach Anatolien und nördlich in die Steppen der heutigen Ukraine aus. Nach Osten bewegten sie sich in Richtung des indischen Subkontinents. Und so sind die meisten europäischen Sprachen heute eng miteinander verwandt – und diese Verwandtschaft besteht auch in den Bräuchen und Riten. In (Nord-)Indien gibt es ebenfalls eine Form der Wilden Jagd und einen „Brauchtumsspruch“, um Albträume zu vertreiben. Hierzu später mehr.

Foto: Michael Werner

Weiße Magie heilt Kranke

Damit kommen wir zurück zu unserem Kulturkreis: Für Probleme, die plötzlich auftreten, kennen die Pennsylvania-Deutschen noch heute eine Technik, die Braucherei genannt wird. Die Ausführenden werden Braucher genannt. Bei dieser „weißen Magie“ wird versucht, Krankheiten mit Ritualen, Kräutern und dem Einsatz von Bibelsprüchen zu heilen. Der Braucher bittet – ganz im Sinne einer viele tausend Jahre alten schamanischen Tradition – die Vorfahren um Beistand und Rat, um einer Person in Not zu helfen. Das kleine Einmaleins ist das Besprechen von Warzen. Das sei hier besonders erwähnt, um die Denkweise zu erklären, die hinter dem Brauchen steckt. Wir werden es benötigen, um uns der Auflösung des Rätsels zu nähern, was Elwedritsche wirklich sind. Wir sind auf dem Weg!

Das Heilen einer Warze

Der Braucher nimmt also zum Beispiel eine „pälzer Grumbeer“ und schneidet sie in zwei Teile. Beide Teile reibt er nacheinander über die Warze, während er gleichzeitig die Worte spricht: „Alles, was ich seh, des nemmt zu – un was ich fiehl, nemmt ab. Im Namen des Patri, Filii et Spiritu Sancti!“ Anschließend fügt er die beiden Teile der Pälzer Grumbeer wieder zusammen, geht nach draußen und platziert die Kartoffel dort, wo durch ein Regenrohr Wasser in die Erde fließt. (Das ist heute in der Pfalz schwer zu finden. In Pennsylvania gibt es das jedoch noch oft an Scheunen.) Das Wasser ist in der Lage, das Böse, das in der Kartoffel gebunden ist, aus dieser herauszulösen und abzutransportieren. Am besten funktioniert das bei Vollmond, weil dann die Kraft des Mondes am größten ist und er Wasser – siehe Ebbe und Flut – zu sich zieht. So haben unsere Vorfahren gedacht, und so denken manche in Pennsylvania noch immer. Und mit diesem Wissen nähern wir uns endlich der Pälzer Elwedritsche.

DER HIWWE WIE DRIWWE CODE Eine Darstellung des vorchristlichen Schutz- und Ritualsystems der Pennsylvania-Deutschen. Hintergrund dafür ist der Wunsch, in einer nicht kontrollierbaren Welt die Kontrolle zu behalten. Quelle:© Dr. Michael Werner 2023

Dämonen im Halbschlaf

Was wir bis jetzt wissen: Die Dämonenabwehr am Haus erfordert ordentlich gemalte Pentagramme (sogenannte Drudenfüße) oder Hexagramme in oder über den Fensterrahmen. Wo sie fehlen, kann es gefährlich werden. Natürlich nicht immer und zu jeder Zeit – aber in Momenten, in denen sich sinnliche Welt und übersinnliche Welt vermischen. Dummerweise gibt es solche Momente auch und gerade im Schlaf – oder besser gesagt: im Halbschlaf. Nicht schlafen und nicht wach sein, aber träumen. Das kennt jeder. Und sehr oft sind diese Träume Albträume. Menschen vor 200 Jahren glaubten, ein Dämon sei hierfür verantwortlich. Hereingeflogen durchs Fenster, setzt er sich auf den Brustkorb des Schlafenden und engt diesen ein, indem er sich mit seinen Krallen fest in den wehrlosen Körper gräbt. „Albdruck“ bzw. „Albdrude“ war eine gängige Bezeichnung für diese Kreatur – ein Geschöpf, das menschliche Züge hatte, aber gleichzeitig auch Krallenfüße und womöglich Flügel. Denn es war ja lautlos in die Stube geflogen. Der Dämon konnte aber auch als Hauch durch ein Schlüsselloch ziehen oder als Feder in Richtung des Schlafenden schweben. Kurz: Man konnte der Albdrude nicht entrinnen. Die Vielgestaltigkeit der heutigen Elwedritsche mit Schwimmfüßen und Flügeln soll das zum Ausdruck bringen. Bei der Albdrude handelt es sich somit um ein „dämonisches Fliewatüüt“ (nach einem Buch von Boy Lornsen).

FABELHAFT Ursprünglich galt die Elwedritsche als ein Albtraum bringender Dämon. In der Pfalz wird dem vogelähnlichen Fabelwesen heute
vielerorts ein Denkmal gesetzt. Hier der Elwedritsche-Brunnen in Neustadt an der Weinstraße. Foto: Norman Krauß

Das Geheimnis der Elwedritsche

Zum Glück gibt es Braucher, die mit ihren Techniken für Abhilfe sorgen. Der Spruch, der gegen Albdruden anzuwenden ist, lautet: „Trotterkopf, ich verbiete dir meine Bettstatt, dass du nicht über mich tröste, tröste in ein ander Haus, bis zu alle Berge steigest und alle Zaunstecken zählest und über alle Wasser steigest. So komm der liebe Tag wieder in mein Haus, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und Gottes des Heiligen Geistes. Amen.“ In „Trotter“ steckt das gotische Wort „trudan“, das treten bedeutet. „Trudan“ erscheint als „Trutt“ im Mittelhochdeutschen und „Drude“ im Neuhochdeutschen.  Aus „Alb“ wurde mit der Zeit „Elb“ und aus „drude“ „dritsch“. Rätsel gelöst. Die Elwedritsche ist ursprünglich ein Albtraum bringender Dämon. In Pennsylvania heißen die dämonischen Wesen „Elbedritsche“. Das ist die ältere Sprachform aus dem 18. Jahrhundert. Erst mit der Zeit wurde in der Pfalz daraus „Elwedritschen“.

Foto: Norman Krauß

Zum Nist- und Balzplatz, dem Heil- und Badeplatz oder zu beliebten Aussichtspunkten des Pfälzer Sagenvogels führt der rund zehn Kilometer lange Elwetritscheweg in Dahn (Landkreis Südwestpfalz). Den Rundweg, der am Kurpark beginnt, säumen sieben Infotafeln, die Wissenswertes zum Fabelwesen vermitteln. Pfade und Wege im Wald führen über Bergkämme um Dahn herum. Bei der Tour werden auch die Felsformationen zum Erlebnis. So eröffnet sich nach dem Aufstieg zum Römerfelsen ein grandioser Rundblick aufs Dahner Felsenland. Ein Tipp: Das Elwetrische-Markierungszeichen gibt es in der Tourist-Info als Souvenir. [dot]

Info: dahner-felsenland.de

Rätsel für Dämonen

Das Prinzip des Braucherei-Spruchs ist einfach und wirksam: Banne einen Dämon, indem du ihm ein Rätsel gibst, das er nicht lösen kann. Erst wenn alle Aufgaben gelöst sind, darf der Plagegeist wieder auftauchen. Das führt uns zur Elwedritschen-Jagd, die nichts anderes ist als ein ritualisiertes Aufführen des Trotterkopf-Zauberspruchs. Dämon ist hier nicht die Albdrude, sondern zum Beispiel ein zugezogener Neupfälzer. Er erhält seine Aufgaben: Sack, Laterne, stehen bleiben. Mit diesem Rätsel wird er gebannt, und die übrigen Jagdteilnehmer vergnügen sich derweil in der nächsten Gaststätte. Aber auch für ihn heißt es irgendwann: „So komm der liebe Tag wieder in mein Haus.“ In diesem Fall ist es ein Wirtshaus.

Der stärkste Zauberspruch der Welt

Ein letzter Tipp: Jeder ausgesprochene Zauberspruch kann zurückgenommen werden, indem man ihn rückwärts aufsagt. Was im Umkehrschluss bedeutet: Der stärkste Zauberspruch der Welt ist der, den man nicht rückwärts aufsagen kann. Diesen gibt es wirklich: SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS. Frei übersetzt: „Der Sämann Arepo, mit Mühe hält er die Räder am Laufen.“ Zu finden ist er in Deutschland wie in Pennsylvania auf Gegenständen, die gut gegen Dämonen geschützt werden müssen. Es ist übrigens der Lieblingszauberspruch von Catweazle, dem Held der gleichnamigen englischen Fernsehserie aus dem Jahr 1969. Sie wurde 1970 in England und 1974 in Deutschland ausgestrahlt. Und wir stellen fest: Alles hängt meist mit allem zusammen – vor allem in der Pfalz.

Lesetipp

Hiwwe wie Driwwe – Der Pennsylvania ReiseVerFührer
Agiro Verlag
ISBN 978-3-946587-34-7
240 Seiten, Softcover
17,90 Euro

Weitere Beiträge in der VielPfalz

Veranstaltungs­tipps

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Geheimnisvolle Pfalz

Walpurgisnacht

In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai ziehen heutzutage Jugendliche durch die Gemeinden, um zu „hexen“. Der Ursprung der Walpurgisnacht geht wohl auf die Zeiten Karls des Großen zurück, als die letzten Heiden in dieser geheimnisvollen Nacht heimlich den Beginn der „hellen Jahreszeit“ auf Berggipfeln feierten.

Foto: Phil_Robson/Unsplash

Zum 19. Mal feierte die Ortsgruppe Wachenheim des Pfälzerwald-Vereins am 30. April 2023 am Hexenstein auf dem Mittelberg gegenüber der Wachtenburg ein familienfreundliches „Hexenspektakel“ inklusive Hexentanz. Auch andernorts in der Pfalz, in der Eifel, im Hunsrück, im Saarland und in Südbaden gehen Jugendliche am späten Abend der Walpurgisnacht durch die Orte, um zu „hexen“ beziehungsweise zu „walpern“.

Auf dem Brocken im Harz

Johann Wolfgang von Goethe hat sich mehrfach mit dem Brauchtum rund um den 1. Mai beschäftigt, nicht nur in seinem „Faust I“. Ihm zufolge liegen die Ursprünge bei den von Karl dem Großen im späten 8. und frühen 9. Jahrhundert geführten Sachsenkriegen. Nach der christlichen Zwangsbekehrung der Sachsen als letzte Heiden im germanischen Siedlungsraum pflegten viele Stämme die alten germanischen Bräuche über Generationen im Verborgenen weiter. So zogen sie in der Nacht zum 1. Mai hoch zu Berggipfeln, die damals noch schwer zugänglich waren, um den Beginn der „hellen Jahreszeit“ mit einem rituellen Fest und einem großen Lagerfeuer zu feiern. Der bekannteste Versammlungsort war der Brocken im Harz. Mit im Gepäck hatten die Sachsen bei diesen Bergaufstiegen Heugabeln und Besen als Hilfsmittel, um das Feuer zu schüren. Natürlich bekam die christliche Kirche bald Wind von diesen Umtrieben. Mit aller Macht wurden danach die heidnischen Feste bekämpft und die Teilnehmenden als Hexen und Teufel dämonisiert. Die alten germanischen Gottheiten bekamen in Abbildungen in der Folgezeit immer wieder Hörner aufgesetzt.

Sind Wolpertinger und Elwedritsche verwandt?

Am 1. Mai wird übrigens seitens der Christen der Heiligsprechung von Walburga (um das Jahr 870) gedacht – eine englische Adlige, die in Süddeutschland als christliche Missionarin tätig war. Auf ihren Namen geht auch der bayrische Wolpertinger zurück. Ob das Fabelwesen aus verschiedenen Waldtieren mythologisch mit der Pfälzer Elwedritsche verwandt ist?

Zur Titelgeschichte
„Geheimnisvolle Pfalz“

  • Dezember 2023
    Noch vor 200 Jahren war der pfälzische Alltag geprägt von Geschichten über dunkle Gestalten, magische Wesen, geheimnisvolle Mythen und Rituale, Glaube und Aberglaube. Einiges davon, …